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Artikel online seit 22.11.12

Das multiperspektivische Bild eines Krieges

E
in brauchbarer Überblick über den ersten großen
europäischen Krieg, der als böhmische Ständerevolte
begann und als Konflikt der europäischen Großmächte endete.

Von
Klaus-Jürgen Bremm





 

Lange galt er der deutschen Historiografie als Urkatastrophe, als erster Tiefpunkt nationaler Geschichte und als letzte Verschnaufpause auf einem langen 1000-jährigen Weg, ehe im Gefolge der französischen Revolution Napoleon Bonaparte den zerfledderten Torso der einstigen mittelalterlichen Weltmacht auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgte. Der so genannte  Dreissigjährige Krieg war allerdings nicht nur die von Flammen erleuchtete Bühne für das Treiben verantwortungsloser Potentaten und skrupelloser Parvenüs, für den Wahn religiöser Hassprediger oder für das Wüten einer entfesselten Soldateska, die ganze Landstriche auf Jahrzehnte entvölkerte.  Die durch eine Revolte der böhmischen Stände ausgelöste militärische Konfrontation, die nach drei Dekaden in allgemeiner Erschöpfung und Ratlosigkeit erstarrte, eröffnete Europa allerdings auch den Weg in ein neues Zeitalter, zu weiter entwickelten Formen staatlicher Existenz in einem neuen europäischen Mächtesystem, zu einer neujustierten Koexistenz der Konfessionen im Reich, aus der schließlich sogar Toleranz und Aufklärung hervorgingen. Das aktuelle Bild des Dreissigjährigen Krieges ist also facettenreicher, als es die meist nach nationalen Maßstäben messenden deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts wahr haben wollten. Einzelne Regionen selbst innerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches erlebten wie etwa die Hansestadt Hamburg während des Krieges einen regelrechten Aufschwung, auch anderen Städten abseits der großen Heerstraßen erging es nicht schlecht. Immerhin profitierten Handel und Gewerbe davon, dass erstmals Armeen von mehreren Zehntausend Soldaten über große Zeiträume ausgerüstet und verpflegt werden mussten. Auch die letzten 150 Jahre des alten Reiches mit seinen sorgfältig austarierten föderalen Gleichgewichten erscheint inzwischen mit der Perspektive auf ein zusammen wachsendes Europa keineswegs mehr als die politische Verlegenheitslösung, welche die deutschen Staaten scheinbar wehrlos dem Zugriff seiner Nachbarn aussetzte und schließlich unter Napoleon zusammenstürzen ließ. 

Alle diese Gesichtspunkte sind durchaus nicht völlig neu. Gleichwohl erscheint es hilfreich, wenn nun die beiden Spiegel-Redakteure Dietmar Pieper und Johannes Saltzwedel den aktuellen Forschungsstand in einer handlichen Aufsatzsammlung zu präsentieren versuchen. In einer Mischung aus Biogrammen der wichtigsten Protagonisten und Querschnittsbetrachtungen liefern etwa zwei Dutzend Autoren, meist Journalisten aus dem Netzwerk der beiden Herausgeber, das multiperspektivische Bild eines Krieges, der nach den beiden verlorenen Weltkriegen erst wieder durch die brillante Wallenstein-Biografie von Golo Mann ins Blickfeld der gebildeten Öffentlichkeit geraten war. Bei genauer Betrachtung bietet allerdings der vorliegende Band, dessen recht kurze Texte schon in der Spiegel-Reihe „Geschichte“ erschienen waren, kaum Neues. Abgesehen von einem Beitrag über die Gefechtsfeldarchäologie am Beispiel der Schlacht von Wittstock sowie einem Aufsatz über klimatische Ursachen des Kriegsausbruches nach einer immerhin 60-jährigen Friedensphase im Reich verharrt der Sammelband durchweg  im Konventionellen. Außer den Porträts der „üblichen Verdächtigungen“, also Kaiser Ferdinand II., Wallenstein, Tilly oder Gustav Adolf finden sich mit den Biogrammen des flämischen Bankiers De Witte und des Malers Rubens (als Diplomat) nur zwei Akteure aus der zweiten Reihe. Man könnte auch kritisieren, dass der europäische Aspekt des Krieges, der sich ja zwischen Spanien und Frankreich noch bis zum Pyrenäenfrieden von 1659 fortsetzte, zu kurz gekommen ist, oder dass es doch höchst spannend gewesen wäre, anhand der Wirtschafts- und Sozialgeschichte prosperierender Städte wie Hamburg oder Bremen einmal aufzuzeigen, dass der Dreissigjährige Krieg tatsächlich nicht für alle Regionen des Reiches Entvölkerung und Ruin gebracht hatte. Abgesehen von diesen mit Nachsicht zu behandelnden Desiderata bieten der kompakte, mäßig bebilderte Band einen brauchbaren Überblick über den ersten großen europäischen Krieg, der als böhmische Ständerevolte begann und als Konflikt der Großmächte endete. Wissenschaftliche Verdienste strebten Herausgeber und Autoren ohnehin nicht an, dazu ist der Anhang mit einer Zeittafel und einer Kurzbiografie von nicht mehr als zehn Titeln doch allzu dürftig ausgefallen. Manche Leser, zu denen auch der Verfasser dieser Besprechung gehört, dürften die klassische Monografie allerdings immer noch der fragmentarisierten Darstellung eines Sammelbandes vorziehen. Ob tatsächlich mit der heutzutage gängigen Zerstückelung der Geschichte ein Erkenntnisgewinn gegenüber der klassischen, aber oft verfemten verfemten monographischen Meisternarration verknüpft ist, wäre noch die Frage.  
 

Dietmar Pieper/ Johannes Saltzwedel (Hrsg.)
Der Dreissigjährige Krieg
Europa im Kampf um Glaube und Macht 1618-1648
München (DVA) 2012
ISBN 978 3 421 04542 3
283 Seiten
19,90 €

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