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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Mit Kanones auf Leser
Da ist es also wieder: ein neuer Literaturkanon. Diesmal geht es um »Europas Weltliteratur«. Von Zeit zu Zeit liest der Literaturkritiker die Alten so gern, dass man dies unbedingt allen anderen mitteilen möchte. »Rp.« lautet die Abkürzung auf den ärztlichen Rezepten und »recipe« rufen die Feuilletonisten in die sich längst verzweigende Leserschaft hinein und stellen Ärzten gleich Rezepte gegen Lesefrust und -überdruß aber vor allem -überfluss aus. Aber wie schon dieses Ärztelatein nur noch Residuen eines einst stolzen Standes dokumentiert, so verpuffen am Ende die Imperative, Empfehlungen oder einfach nur gut gemeinten Ratschläge im »anything goes« der angeblich nach Orientierung ächzenden Leserschaft. Und das ist eigentlich gut so. 1978 von Fritz J. Raddatz begründet und mit verblüffend transparenten Kriterien, werden die Intervalle zwischen den immer wieder aufkommenden Kanons geringer. Und die Inhalte immer redundanter. 1997 löste Ulrich Greiner in der »Zeit« eine neue Kanondebatte aus und fragte, was Schüler lesen sollten. Prominente beantworteten diese Frage und am Ende wurde ein »Offenbarungseid« in der Kanon-Diskussion festgestellt. 2001 begann Marcel Reich-Ranicki seinen Kanon vorzustellen (Webseite). Er wandte sich dabei eher an Erwachsene, sparte aber auch nicht mit Vorschlägen für den Schulunterricht. Dabei fungierte mal der »Spiegel« mal die »FAZ« als PR-Abteilung. 2002 startete die »Zeit« eine weitere Kanon-Debatte. Diesmal ging es um eher um Kinder- und Jugendbücher und 2003 um Lyrik. Auch Joachim Kaiser wollte da nicht zurückstehen. Ursprünglich benannte er 20 Bücher, später dann 1000 . Die Dämme brachen immer schneller. 2004 begann die »Süddeutsche Zeitung« wöchentlich mit der Publikation eines Romans oder Erzählung aus dem 20. Jahrhundert. So ließen sich Standardwerke für preiswertes Geld erwerben. Die Crux: einige Autoren fanden aus rechtlichen Gründen keine Berücksichtigung; Verlage und/oder Autoren (oder Erben) untersagten die Veröffentlichung in einer solchen Reihe. Dennoch war die Reihe, die mehrfach variiert wurde, ein großer Erfolg. Und ob die Protagonisten nun Elke Heidenreich (die natürlich das Wort »Kanon« ausdrücklich ablehnte) oder Hellmuth Karasek hießen – man hatte das Gefühl, jeder feuerte nun ungefragt seine Kanones auf die Leser. Diese kamen vor lauter Begründungsliteratur kaum noch zum Lesen der eigentlichen Bücher. Nach einer kleinen Ruhezeit also jetzt wieder ein Kanon. Die blumigen Worte von Iris Radisch vermögen kaum zu camouflieren: Kanon-Debatten des Feuilletons drohen durch die Wiederkehr des nahezu Immergleichen zur Berichterstattung über Krokodile in Baggerseen während der Sommerzeit zu verkommen: Man zuckt irgendwann nur noch die Achseln. Während Redakteure und freie Schreiber in kurzen Aufsätzen mit den kanonisierten Werken brillieren dürfen, weht ein Hauch von Didaktik um den rauchenden Leserkopf; manchmal glaubt man, den Duft der Schulbänke zu riechen. Diese Form der Ranking-Listen sind nicht nur Versuche das Feuilleton als ästhetische Instanz zu revitalisieren bzw. zu konservieren. Dabei ist es nicht schlimm, dass sie allesamt subjektiv sind aber mit Objektivität spielen. Ärgerlich ist ein anderer Punkt: Trotz gegenteiliger Angaben wird zwangsläufig eine Vollständigkeit suggeriert, die jegliche Lust auf das Außergewöhnliche, das Selbst-Gefundene abzuwürgen droht. Der Blick für das Abseitige kommt zu kurz. Ein Kanon suggeriert Antworten auf Fragen, die nicht beantwortbar sind. Statt Bücher als Ausgangspositionen für eigene Entdeckungsreisen in der Literatur zu machen und die ausgelegten Spuren neugierig aufzunehmen, werden dem Leser Listen präsentiert, die eine neue Übersichtlichkeit in der unübersichtlichen Literaturwelt vorspiegeln. Statt den Leser sich selbst bilden zu lassen, wird er »verbildet« (freilich gut gemeint und mit ehrenhaften Absichten). Die Erfahrung des »schlechten Buches« und/oder das Scheitern an und mit einem Werk soll ihm erspart werden. Aber gerade dies wäre wichtig.
Ein Kanon impliziert ein
Versprechen: wer ihn gelesen hat ist ein besserer Mensch. In postmodernen Zeiten
genügt zunächst einmal der Besitz, um wenigstens das Fegefeuer zu erreichen. Und
so hat denn vielleicht der Handel was davon (und nicht nur Amazon, hoffentlich).
Der Leser kann Kanon-Diskussionen längst überschlagen. Und ein Buch zur Hand
nehmen. |
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