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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Die menschliche Komödie
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mit 176 Seiten, die es in sich haben.

 

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»Täuschen, Tarnen und Verpissen«

Karl Theodor zu Guttenbergs postmodern-neofeudale Kunst des Zitats und die Krise der akademischen Forschung.

Von Dr. Peter V. Brinkemper

Karl-Theodor von und zu Guttenbergs Methoden zur Anfertigung seiner Dissertation als Patchwork aus maximal vielen, nicht gekennzeichneten Quellen ohne eigene originäre Aussage ist die Signatur eines neofeudalen Umgangs mit Zitaten in einer Netzkultur. Das überlieferte wissenschaftlich-akademische Forschungs-Ethos stößt auf die Leichtfertigkeit des Hypertexts und lässt die letzte Schamgrenze zwischen ernsthafter Öffentlichkeit und Medienrummel, Bildung und Einbildung, Wissenschaft und Unterhaltung fallen. In dieser Zone der Turbulenz und der Krise der akademischen Bildung hat Guttenberg sich selbst zum Doktor auf den Schultern der von ihm Zitierten ernannt und eine Institution geblendet. Nun tut er so, als könne er von seinen Gnaden den Doktortitel nach einigen misslungenen Verteidigungsversuchen wieder fallen lassen, obwohl die in ihrem Ruf geschädigte Juristische Fakultät der Universität Bayreuth auf dem Verfahren der Überprüfung des Falles und auf einer präzisen Stellungnahme Guttenbergs zu den Plagiatsvorwürfen bestehen muss. Der Minister versucht sich in die Welt der Mediokratie und der Amigo-Politik des schnellen TV-Statements zu retten.

Der Verfall der Zitatenkunst im Medienzeitalter

Zitate sind nicht nur Fakten, sie sind Zeichen, Symbole und Texte. Zitate sind auch Schritte eines Dialogs mit sich selbst und anderen, Akte der reflexiven Darstellung, Darlegung, Befragung, Infragestellung und Vergewisserung. Es gibt eine ausgefeilte Kunst des hochartifiziellen, aber auch banalen Benutzens von Zitaten. Der wissenschaftliche Diskurs sollte mit Zitaten in der bekannten, altehrwürdigen Bedachtsamkeit der behutsamen Wahrheitsfindung, Begriffsklärung, Quellendeutung, Hypothesen- und Modellbildung umgehen. Die Mediengesellschaft spielt mit dieser Kunst auf ästhetischem und kommerziellem Niveau. Jeder kann mittlerweile lernen, Aussagen und Behauptungen anderer gegen den Strich zu bürsten und zu den seinen zu machen, oder ehemals eigene Behauptungen als fremde, wie von außen zu betrachten.

Das postmoderne Zitatenspiel ist mittlerweile auch außerhalb der hohen Literatur durch internetgestützte Wiedererkennung und Massenselbstbedienung zu einer Hypertextproduktion und nivellierenden Chatunkultur angeschwollen, bei der die Individualität, Kreativität und maßstabssetzende Autorenschaft virtuell schon längst im Katarakt widersprechender und aufgefächerter Aussagelosigkeitssysteme aufgelöst worden sind. Der Autor scheint nur mehr als eine Art exekutiver Protokollant zu sein, der von den Einfällen und Überschneidungslinien der totalen Vorprogrammierung überfahren wird. Schilderungen (imaginärer) äußerer Erlebnisse, im Kontakt mit der Außenwelt, oder der (vorgestellte) innere Monolog einer psychischen Innenwelt sind im Verschwinden begriffen. Im Stellwerk der Netzinformationen springen ihn die Zufallsangebote an und lassen ihn gleichzeitig im Stich. Die uralte Devise »Täuschen, Tarnen und Verpissen« (allerdings, wie man sieht, in etwas anderer Reihenfolge), die in ihrer Biederkeit die noch 15 Monate praktizierenden Wehrdienstpflichtigen in der nun schrumpfenden Bundeswehr prägte, scheint für diese Art von abgenudelter Guerrilla-Stategie immer noch die angemessenste Form der elementaren Beschreibung zu sein.

In Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenbergs Dissertation »Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU«, erschienen im Carl-Schmitt-Verlag Duncker & Humblot, Berlin, schien sich zunächst der unwissenschaftliche Virus des Nichtnachweises einzelner Zitate, teils aus Netzmedien, teils aus Printmedien, eingeschlichen zu haben. Fachkollegen und Netzjäger verbündeten sich,  mal aus wissenschaftspolitischer Strenge und Redlichkeit, mal aus parteipolitischen Motiven, gar aus Publicity-zerstörender Ranküne, um dem Shootingstar der CSU und der vor sich hindümpelten Regierung Merkel-Westerwelle den ersten Heavy Blow, in eigener Sache, zu versetzen. Mit Instinkt saugten sie sich an der akademischen Achilles-Ferse des seltsam forschen Verteidigungsministers und ehemaligen Gebirgsjägers fest. Seine ebenso entschiedene wie immer wieder schwankende Art der Urteilsbildung bei seinen mediokratischen Schnellschüssen in Sachen Luftschlag-von-Kunduz und Gorch-Fock-Affäre (die brachialen Personalentscheidungen und Unbedenklichkeitserklärungen, nun endlich aus der zivilen Aufbauarbeit heraus zu rutschen, hinein in den Afghanistan-Krieg als von der deutschen Verfassung nicht legitimiertem Normalzustand des ständig gegenwärtigen Soldatentodes) werden auch im Zitaten-Gestus der Doktor-Arbeit nur allzu sehr bestätigt.
Hier schreibt, wenn überhaupt der auf  dem Umschlag gedruckte Autorenname zutrifft, ein Subjekt, dass sich selbst mit eigenen Äußerungen und Behauptungsrisiken stark zurückhält, ja einen Maulkorb verpasst und sprunghaft von Deckung zu Deckung springt, eigene Aussagen antäuschend und doch immer wieder waghalsig Zuflucht und Asyl bei schon Gesagtem, Begriffenem, Gedachtem und scheinbar Zuende-Argumentiertem nimmt - in der angeregt-flotten Kompilation zwischen Journalismus und zusammengestückelter Fachliteratur. Auf diese Weise entsteht ein nicht gekennzeichnetes Potpourri vermeintlich selbstverantworteter Ausführungen. Sie weisen kaum oder nur verschwindend geringe Eigenformulierungsanteile auf. Diese offensichtliche Schwäche des Mutes zum Selbstformulieren und Selbstdurchdenken tobt sich in der Lese- und Sammelwut einer nur scheinbar kryptischen Fremdzitatenpolitik  aus, die sich selbst als neo-digitale Autorenschaft in einem geradezu feudalabsolutistischen Sinne der selbsterlaubten Plünderung anderer Texter als Medien-Dienstleister versteht. Das Aristokratische und zugleich Plebejische an diesem elektronischen Raub-Zitationsvorgang, die dahinter stehende Korruption des bürgerlichen Autoren- und Eigenleistungsgedankens qua feudaler Medienrepräsentation im Sog der gewachsenen politischen und medialen Bekanntheit des eigenen, kognitiv verdrucksten und verkniffenen Ichs ist bisher nicht begriffen worden: Guttenberg ist der Petit Padawan of the Medial, Political, Juridical and Scientific Universe, der auch noch dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages illegitime Aufträge als camouflierter Volksvertretungs-Doktorand erteilte, den VIP-Bonus an der Universität Bayreuth genoss, den renommierten Professor und sein behäbig-nachlässiges Team bis zum Fehlurteil »Summa cum laude« blendete und dabei jetzt in kindischer Selbstversklavung  behauptete, es sei doch alles, was da im und als Text stünde, von ihm: »Der Text bin ich«. »Ich, in mühevoller langjähriger Kleinarbeit.« Trotz Familie und politischer Ämterhäufung und rasantem ministeriellem Spitzendebüt bei hysterisch hoher Popularitätsrate als neuer Regententyp in spe. Auch die von professionell-journalistischer und parteipolitischer Häme bedachte Äußerung auf der kleinen Notbefreiungskonferenz im Verteidigungsministerium als Parallelveranstaltung zur düpierten Bundespressekonferenz in Berlin, das Statement: »Es wurde zu keinen Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht« ist durchaus, allen Unkenrufen zum Trotz, wortwörtlich zu nehmen.

Der Freiherr ist allerdings kein Freigeist, kein Libertin der Literatur oder der Politik. Als nach Zitaten und Trophäen jagender Zünftler, der sich über die spießbürgerlichen Grenzen geistigem Eigentums hinwegsetzt, hat er sich in der Tat die imaginäre Freiheit des Web 2.0 genommen. Dabei ist er in die Falle zwischen brachialem Konsum und  vermeintlichen Open Sources geraten, weil er die universelle Verfügbarkeit von Quellen und Texten mit der totalen Verfügungsmacht des Autors über den Formulierungsbestand von journalistischen und fachwissenschaftlichen Kollegenautoren nach Gutsherrenart verwechselt hat. Zunutze gemacht hat er sich in seinem Totstellreflex zwischen »Ist zwar nicht von mir, aber könnte doch so schön von mir sein« die heutige Unschärfe und Kriterienlosigkeit der stagnierenden Diskussion um die Qualität(sdefizite) von Dissertationen und anderen wissenschaftlichen Arbeiten im Medienzeitalter. Guttenberg ist Täter und Opfer der heute immer autorenfeindlicher werdenden Netzkultur und der entsprechend verflachten akademischen Welt, die sich nur noch mit Wirtschaftsaufträgen, Quizfragen und Bachelor-Modulen verdrossen und lustlos über Wasser hält.

Das Ende des klassischen Zitatenbegriffs

In der ersten Phase der Entdeckung von nicht angezeigten Zitaten in Guttenbergs Werk sah es ganz so auch, als könnte sich die Beschreibung der Tatbestände völlig mit dem klassischen Zitatenbegriff erledigen lassen, wonach die korrekte wissenschaftliche und Arbeitsweise vorschreibt, fremdes Text- und Gedankengut in wörtlicher oder sinngemäßer Wiedergabe auszuweisen inclusive Anführungszeichen, Fußnoten und den Literaturangaben zu Autor, Titel, Seite, Datum, Ort und Art der Publikation. Schreiend war die Hilflosigkeit, in der die Nachrichten und die Kommentare der wissenschaftlichen Akteure erst allmählich deutlich machten, dass Guttenberg, gerade in Passagen, in denen es um eigene Gedankengänge, in einleitender, kommentierender, durchführender Form oder um Zusammenfassung, Bewertung und Schlussfolgerung, gehen sollte, ein Patchwork von zusammengeklitterten und nicht ausgewiesenen Fremd-Zitaten als systematisches Unterfutter in den Darstellungsbogen seiner angeblich eigenen Ausführungen eingebaut habe.

Guttenberg hatte also irgendetwas zu sagen, nach dem vielleicht  etwas irrationalen, aber gut deutschen Fieber zwischen Sagbarkeit und Unsagbarkeit, Größen- und Kleinheitswahn: „Oh, diese Schusterregeln. Oh, diese öde Wissenschaft. Diese Beckmesser. Au To No Me? Ho, Ho, Chi, Minh? Wo ist da die Musik der Macht? Das, was ich zu sagen hätte, wenn ich was zu sagen hätte, sagte ich, leise vor mich hin, ohne es öffentlich zu verraten, nicht in klaren eigenen Worten. Ich könnte es, ja ich kann es irgendwie noch nicht  selbst ausdrücken, mir wird schon schwindlig, vor mir selbst, aber auch von allem, was die Leute mir auf meinem steilen Weg nach oben doch noch so abverlangen, weil sie nicht alle auf meinen Bubi-Charme reinfallen, und jetzt auch noch diese Professoren, ich dachte, ich hätte sie schon in der Tasche, mit meinem ministeriellen Uni-Werbevideo, aber ich habe ja klettern und springen gelernt, wie eine Gemse, und ich weiß ja auch von Haus aus so zu tun, als ob ich jederzeit die in mich gesetzten Erwartungen zu erfüllen imstande wäre, als ob ich immer und überall, souverän, über jeden Abgrund und jede Grundlosigkeit, an ein Ziel käme. Ich hänge also meine Arbeit über die klaffende Lücke der Anforderungen und warte darauf, dass die Zitate einfach so herbeischwärmen und sich zu einem sinnvollen Text ordnen. Ich sage also besser selber nichts, ich lasse es mal so laufen, jetzt habe ich es, ich sage alles nötige nur mit anderer Leute Rede und Schreibe, ich selbst schweige, ich sage nicht, ich sage nur auf, egal wer mir dabei hilft, benannt oder namenlos, wer hilft mir, ich mir selbst oder andere dienstbare Geister? Und ich sage dieses und jenes also nur in Form von Zitaten auf, in Worten und Wortfolgen einzelner bzw. vieler anderer, aber so geschickt, und halb- oder voll-verdeckt, dass es keiner so recht merken wird, oder keiner so recht hinsehen will, dass ich es nicht bin, ich tauche in den Abgrund ein, schwimme im Wildbach bis zum Fuße eines gewissen, jetzt noch leer stehenden Schlosses, in den Teich der guten alten Zitate und Freunde, ich warte, bis mir etwas schwant, und dann doktere ich noch ein bisschen daran herum, schieße hier und da ein paar afghanische Freikugeln in den eigentlichen Text, das Gewebe, das Manifest, dem alle folgen werden. Alle werden später denken und glauben, toll, wie er, also ICH, das jetzt gesagt, geschrieben, formatiert, formiert und irgendwie, gar nicht schlecht, hingekriegt habe. Und wehe, wenn die meinem ICH (und mein ICH gehört zu mir wie der Name und der Titel an der Tür und auf dem Staatsbriefpapier), irgendeine böse Absicht unterstellen, es als dummen Schüler oder Mogler darstellen und das Talent als Meisterfälscher, der alles echter als echt macht, also als ultimativer internationaler Staatsrechts-Positions-Kompilations-Künstler und Polit-Medien-Passepartout verkennen. Das Volk wird schon merken,  dass hier der neue europaverdächtige Bayreuther Meistersinger auftritt. Und es wird Mitleid haben, wenn diesem politischen Genie übel mitgespielt wird. Die Universität hört auf mein Kommando, so oder so. Und nach diesen neuen regellosen Regeln wird bald nicht nur im deutschen Blätter-, Regierungs- und Forscherwald gepfiffen. Meine Kür durch das Volk lasse ich mir nicht von diesen demokratischen Parlaments-Stieseln in Berlin, den Internetfreaks und den peniblen Wissenschaftsfiguren in Bayreuth vermasseln.“

Aber auch nach der zunehmend von geistigen »Masern«, also hunderten von verdeckten, zusammengeschraubten oder geklebten und nicht angezeigten Fremdzitaten befallenen »Eigenleistung« gibt es einen ungeklärten Rest von Authentizität in Guttenbergs Vertretung seiner nun in Zweifel zu ziehenden akademischen Meriten und rechtlich zu verfolgenden Methoden. So äußert sich selbst »Der Spiegel« immer noch anerkennend in der neusten Ausgabe Nr. 8, 21. 2. 2011, Artikel »Doktor der Reserve«, S. 20-29, hier S. 24:

»Dabei ist das Werk im Kern [was für ein Kern?] gar nicht so schlecht. Es ist eine vergleichende Darstellung darüber, wie Amerika eine Nation wurde und wie Europa versucht, eine zu werden. Es ist über weite Strecken eine Sammlung von Fremdtexten, aber es ist auch ein relativ gründliches und sauber gegliedertes Kompendium [!] der Geschichte der US-Verfassung und der EU-Verträge. In deutscher Sprache sucht man so etwas bisher auf dem Sachbuchmarkt vergebens. [!]«  (Klammern von Brin.)

Paradoxe Totalisierung des Ghostwriter-Modells 

Es sieht also ganz so aus, als ob Guttenberg seine Autoren-Intentionen in der korrekten Fremdzitation und bescheidenen Eigenausführungen nicht vollends verwirklichen konnte, sondern ihm eines neues, unakademisches, eher politisch übliches Ghosterwriter-Modell vorschwebte. Wichtiger als die Frage, ob Guttenberg oder ein Ghost die Dissertation geschrieben haben, ist der schizophrene Eroberer- und Ghostwriter-Modus des gesamten jetzt inkriminierten Opus. Guttenberg hat, wenn man so will, alle, sich selbst und die anderen, zu Geistern eines fröhlich postakademischen Lustschlosses erklärt, in dem die Textbestandteile ohne Nachweise ihrer echten Abstammung fröhlich Unzucht miteinander treiben. Die Zitate werden durch ihre Herauslösung aus dem nicht angezeigten Original zweckentfremdet und zu eigenen, unsittlichen und anfechtbaren Zwecken verwendet, aber dabei merkwürdigerweise sachlich verstanden und inhaltlich angemessen behandelt. Die durch das Internet gesteigerte Such- und Erschließungsfunktion von Zitaten innerhalb eines Wissensgebietes wird von Guttenberg weitläufig und zugleich nivellierend ausgeschöpft. Merkwürdig bleibt das regressive Rollenverhalten des Autors Guttenberg, seine Zensur gegenüber sich selbst und den anderen: der leere Charakter eines imaginären Abteilungsleiters und Ministers, der den Lerneffekt wachsender Eigenständigkeit und Kompetenz im Verstehen, Respektieren, Formulieren und Nuancieren von Texten und Kontexten nicht abwartet, nicht als Forscher und Autor asketisch reift und frugal erntet, sondern als Ministerialdirigent opulent beschleunigt und in leichten Abwandlungen und Redigierungen die Leistung anderer vertuscht, sie sich selbst zuschreibt und dabei die seriöse Anerkennung seiner eigenen, wie auch immer bescheidenen oder verdienstvollen Tätigkeit vereitelt. Zitation nicht als offener, transparenter Dialog, sondern als autorisierter Diebstahl, Produktion als requiriertes Plagiat, Konzeption als hinterlistige Tarnung. Hier ist jene verzweifelte und verdruckste Ungeduld bei großer Urteilsunsicherheit zu spüren, jene Unfähigkeit, Ideen im Umgang mit Texten anderer offen und im Dialog reifen zu lassen, jener Intuitionsmangel und die abrupte Visionslosigkeit, die auch seinen Politik-, seinen brachialen Inneren-Führungs- und öffentlichen Auftritts-Modus immer wieder durchzieht. Die neofeudale Konfusion zwischen implizit Selbstgedachtem und von anderen fastfood-förmig Angeeignetem, die Dialektik von rascher Fremd- und Selbstversklavung durch inszeniertes Selbstdenken, durch Verschlucken,  als Unterdrückung der Stimme des produktiven Anderen stellt die Methodik des arrivierten Karrieristen bloß.

Dabei ist der »Summa-Cum-Laude«-Effekt der Arbeit, mangels kritischer Tiefenlektüre, in der Tat mit dem Kontrast ihrer stilistischen Glätte zum sonst üblichen undialogischen Gutachten- und Nominalstil vieler juristischen Arbeiten verbunden. So oder so wird Eigenes und Fremdes kaum deutlich unterschieden oder plausibel aufeinander bezogen: Einerseits sollten Einleitung, Themenstellung, Darstellung, Zusammenfassung, Kommentar, Bewertung, Einschätzung und Begründung selbstverfasst sein, sie sollten andererseits in bestimmtem sachdienlichen Zusammenhang an das Niveau vorhandener Forschung anknüpfen und Zitate, Positionen und Argumente anderer Autoren als ausdrückliche Stimmen berücksichtigen. Zugleich aber sollte die Arbeit insgesamt eine eigenständige Gedankenführung aufweisen, mit eigener Klärungsarbeit und Formulierungsqualität, um die Autonomie der Leistung zweifelsfrei hervorzuheben. Die Spannung zwischen Eigenem und Fremden, zwischen Reproduktion und Kreativität ist die eigentlich dialogische Funktion jedes produktiven Zitierens. Jedes Zitat, jedes Zitieren hat im übergreifenden Sinn ein dialogisches und geschichtliches Potential: den Sinn als Spannung zwischen Ich und Anderem, zwischen Vorgabe und Dissidenz, Gegenwärtigkeit, Entwicklung und Geschichtlichkeit,  Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit, Pro und Contra, Identität und Differenz. Erst durch dieses Spiel wird ein Zitat tiefer und in seiner vollen Diskursfähigkeit verstehbar. Man probiert sich und andere aus, auch in den Zitaten, in der Spannbreite von fremdem und eigenem Denken. Man experimentiert mit den Möglichkeiten des öffentlichen, sozialen und geschichtlichen Dialogs. Wer zitiert, beschwört eine öffentliche Stimme, ja die Vielheit der Stimmen der Öffentlichkeit, der Gesellschaft, der Geschichte. Guttenbergs Fall zeigt, wie die nivellierende Verschmelzung von fremden Zitaten zu einem undialogischen Bildungs-Konglomerat verschmilzt, in dem Sachdarstellung in einseitige Selbstinzenierung umschlägt, weil die Gemeinschaft der Forschenden im »Hoppla-jetzt-komm-ich-Modus« gekappt wird.

Der Kampf um die reale und die mediale Herrschaft des Verfahrens

Zu dieser Strategie gehört auch noch der letzte Akt, dass Guttenberg das peinliche, aber dringend notwendige Verfahren der seriösen Überprüfung seines Falles durch die Universität Bayreuth mit dem »Ruhenlassen« oder sogar der »Rückgabe des Doktortitels« einfach abkürzen will. Der Herr des Verfahrens ist aber die Universität. Einen berechtigten Doktortitel kann man sich noch nicht einmal abholen, er wird einem zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einem Festakt verliehen. Einerseits. Andererseits gilt: Täuschen, Tarnen und Verpissen. Und dies auch noch unterstützt durch Dr. Mama Merkel, die ihren Liebling, den zukünftigen Ministrauß, nicht verlieren will.
 




































Foto: Dirk Vorderstraße
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