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Zum aktuellen Krieg um den Comic-Film:

»Green Lantern« vs. »Captain America«

Von Peter V. Brinkemper

Reden wir über »Green Lantern«. Aber nicht nur darüber. Es geht um den aktuellen Stand der  medialen Vermarktung von Comicverfilmungen. Im Tosen der Sommerproduktionen 2011 taucht »Green Lantern« als hauseigene Coproduktion von DC Comics, Inc. und Warner Brothers auf. In harter Konkurrenz zur erfolgreicheren Marvel Enterprises Verfilmung »Captain America: The First Avenger«.

Die Geschäftszahlen: Die Warner Bros. Produktion »Green Lantern« (Regie: Martin Campbell) hat ein Produktionsbudget von 200 Mio. Dollar, aber in den ersten neun Wochen erst 177 Mio. Dollar weltweit eingenommen. »Green Lantern« ist damit nicht so erfolgreich wie Marvels derzeitige Konkurrenzfilme: »Thor« (Regie: Kenneth Branagh) – und der rasante Aufsteiger »Captain America:  The First Avenger« (Regie: Joe Johnston). »Thor« schreibt 448 Mio. Dollar Einnahmen in der 15. Woche  und »Captain America« ist nach 302 Mio. Dollar Umsatz in knapp vier Wochen nun erst in die deutschen Kinos gekommen. Was passiert also gerade auf dem Comicfilm-Markt?

Zur Vorgeschichte von »Green Lantern«

Beim Geschäftsmodell »Harry Potter« hat sich Warner Brothers nach außen möglichst eng an den Status einer auf ihrer Originalität bestehenden Erfolgs-Autorin gehalten, die zwischen 1997 bis 2007 sieben Bände publizierte. Die acht Verfilmungen (der siebte Band wurde gleich zweiteilig umgesetzt) kamen 2001 bis 2011 ins Kino und brachten 7,6 Mrd. Dollar ein, bei einem Gesamtbudget von rund 1.6 Mrd. Warner gab sich bei »Harry Potter« erzählerisch textgetreu, ähnlich wie Peter Jackson bei Tolkiens »Herr der Ringe« (2,9 Mrd. Dollar Gesamteinnahmen bei 285 Mio. Budget). Man versuchte packende, eigenständige Filme zu drehen, die nicht in der bloßen Illustration stecken blieben, die Hauptlinien der Charaktere und der Handlung respektierten und mit szenischem Füllmaterial ergänzten. Insofern beansprucht die Kino- und DVD-Serie »Harry Potter«, das Äquivalent zu den Romanen zu liefern, also zu jeder Episode ein Werk. Bei der mehrjährigen Vorlaufzeit von Verhandlungen, Verträgen und Planungen wäre es interessant zu erfahren, ob Joanne K. Rowling nicht bereits ab dem zweiten Band ständig über die Verfilmbarkeit bestimmter Szenen nachgedacht oder mit Filmpartnern diskutiert hat, ohne gleich ihre literarische Autonomie dabei aufzugeben.

Im Unterschied zum rein literarischen Geschäft und den Anspruch der Autoren als Urheber gültiger und abgrenzbarer Werke ist das Business von Comics und sogenannter Trivialliteratur ungleich brutaler. Und zwar nicht aus Mangel an Niveau und Kreativität der Autoren, Zeichner und Verlage, damals und heute, sondern wegen der kommerziell erzwungenen Austauschbarkeit der Angestellten-Kultur und der dadurch bedingten Mobilität von Ideen, Konzepten, Umsetzungen, Helden, Masken, Figuren und Geschichten im Arbeitsverlauf, oft im Tages- und Wochenrhythmus der klassischen Medien Zeitung und Zeitschrift. Diese Form entfremdeter Arbeit ähnelt in gewisser Weise der Spannung von künstlerischem Theater und Entertainment am Broadway, wie sie Arthur Miller beschrieben hat. Generationen von Kindern und Jugendlichen haben je aus ihrer Sicht Comicfiguren als Alltags- und Superhelden geliebt und waren davon überzeugt, ein lebendiges Original zu sehen und zu lesen. In Wahrheit sind sie in eine bestimmte Generation ihres Helden eingestiegen, der von vielen unsichtbaren angestellten Händen und Köpfen mitproduziert wurde. Diese Art quasi industrieller Massenkunst hat immer noch bestimmte künstlerische Eingangs- und Eckwerte, die aus dem Alltagsbetrieb deutlich ausscheren. Hier sind auch die derzeitigen Comic-Verfilmungen zu verorten, in denen man das Rad der Zeit nur scheinbar beliebig zurück oder weiter drehen kann.

»Green Lantern«, wird in der Warner-Verfilmung 2011 unter der Regie von Martin Campbell (unterstützt von Comic-versierten Drehbuchautoren: Berlanti, Green, Guggenheim, Goldenberg)  nicht in der ersten Variante präsentiert, die ab 1940 im Goldenen Zeitalter des Comics erschien und von Bill Finger und Martin Nodell konzipiert wurde. Damals hieß der irdische Held Alan Scott, von Beruf Eisenbahningenieur. Eine tatsächliche Zuglaterne mit magischen Kräften rettete ihm bei einem Sabotage-Anschlag das Leben. Daraufhin bekämpfte er Spione und Kriminelle unter dem Pseudonym Green Lantern. In der Folge wurde die Magie der Lampe durch einen Fremden aus China erklärt. Damit war die Grüne Laterne zum Relais mit einer Parallelwelt aufgestiegen. In der nun folgenden Version sollte es noch höher hergehen.

Die aktuelle Verfilmung 2011 (gleich in drei Teilen geplant) bezieht sich auf das Comic-Debüt der zweiten Generation, das 1959 im sogenannten Silbernen Zeitalter stattfand. Hauptperson ist der selbstverliebte, bieder-flotte Testpilot Hal Jordan (dargestellt von Ryan Reynolds). Auf der Erde strandet ein schwerverletztes Schuppen-Alien, Abin Sur (Heimatplanet Oa). Von Sur erhält Jordan einen technologisch hochentwickelten Grünen Ring (nicht magisch) und die Grüne Laterne als Energiequelle zum Wiederaufladen. Ring und Laterne verleihen telepathische und telekinetische Kräfte. Hal Jordan soll sich dem galaktischen Green Lantern Corps anschließen, um die Erde und das Universum gegen böse Mächte zu verteidigen, vor allem gegen Parallax, jene unersättliche Monsterwolke mit der panisch gelben kosmischen Energiestörung, die auf die Zentralbatterie der Green Lanterns auf Oa überzugreifen droht. Das ist ein heftiges Parallelwelt-Erlebnis. Mit Hal Jordan bekommt ein irdischer Charakter die Möglichkeit auf Zeit zum kosmischen Superhelden, eben zu »Green Lantern« zu werden, und die noch junge menschliche Rasse erhält direkt aus der Milchstraße einen Stups zur nächsthöheren Stufe. Neben den üblichen irdischen Konflikten von Hal Jordan ist die energetische Vernetzung der Green Lanterns entlang der gesamten Galaxis ebenso ein Schwachpunkt wie die moralische Abgrenzung von Gut und Böse. In Hal Jordans fliegerischem Übermut ist bereits die Möglichkeit zum späteren Wahnsinn angelegt. Dieser ließ ihn 1994, bei der erneuten Auffrischung der Comic Serie, zum Gefäß, zum Host von Parallax, dem galaktischen Monster werden. Hal Jordan, ein irdischer Aladdin, der zwischen Mensch, Wunderlampe und Flaschengeist hin und her wabert? Die 1990er Autoren, Ron Marz, Darryl Banks, Geoff Johns und Ethan Van Sciver, und Parallax alias Jordan, haben  im Comic längst die gerade im Kino gezeigte Geschichte ausgelöscht und umgeschrieben. Das ist Comic pur: kommerzielle Berechnung, demiurgischer Mutwille und saturnische Gefräßigkeit, der spielerische oder bösartige Umstoß von aufgebauten Charakteren und Welten, die Vernichtung und Neuschöpfung von Sensationswerten im Kampf gegen den Moloch Langeweile. Im Film 2011 werden spätere Rivalen bereits kenntlich gemacht, der machthungrige und angstbesessene Corpsanführer Sinestro (Mark Strong) oder die reiche und ehrgeizige Rivalin Carol Ferris (Blake Lively), voraussichtlich bald die gegnerische »Star Sapphire«. Und der autistisch-kriminelle Wissenschaftler Hector Hammond (Peter Sarsgaard). Aber wird das alles reichen, wenn diese Comic Welt und ihre Produktionszyklen außerhalb der USA eher unbekannt sind?

Warner und DC – das Ringen um die richtige Comic-Verfilmung

»Green Lantern« ist nur ein Beispiel, wie Konzerne heute über Medien-Integration intensiv an der Transformation und Novellierung ihrer verfügbaren Inhalte arbeiten und dabei gelegentlich im Sumpf des Materials zufällig siegen oder scheitern, bei hauseigenen wie externen (Ko-) Produktionen.
Spätestens seit 1969 konnte Warner durch Ankauf von DC Comics seine Helden hauseigen vermarkten und so auch die TV- und Spielfilm-Produktionen von DC-Figuren scheinbar reibungslos übernehmen. Noch bei der zunächst erfolgreichen Vermarktung Batmans im Übergang der 1980/90er Jahre ging man bei Time-Warner von der ungebrochenen Geltung der Devise »Ein Produkt in allen Medien« und einer explosiven crossmedialen Vermarktung wie von selbst aus. Doch kreative Unsicherheiten im Kerngeschäft der filmischen Darstellung der bekanntesten Figuren erbrachten erhebliche Verzögerungen und auch Einbußen in der Qualität und Zielgruppenwirksamkeit. Zu den DC-Helden gehören: Jerry Siegels und Joe Shusters bereits filmisch und jüdisch-christlich angelegter »Superman« (seit 1933 schlagartig bekannt als Comic). Bob Kanes und Bill Fingers dunklerer und irdischerer »Batman« (ab 1939 als Comic). Die Parallelen zur amerikanischen und deutschen Geschichte und zur internationalen Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg sind unübersehbar. Film- und TV-Umsetzungen hinkten dem fortschrittlichen Look und der explosiven Dynamik der Helden im Comic (und ihrer Glorifikation in der Pop-Kultur der 60 Jahre) hinterher. Erst mit der »Superman«-Film-Produktion ab 1978 (die sich bis 1987 glücklos dahin schleppte) und speziell der technischen Entwicklung von gleitenden Übergängen zwischen Personenflug und Bodendarstellung begann die Ära für adäquatere Möglichkeiten der cinematografischen Darstellung. Ein Streit zwischen den Produzenten und dem ersten Regisseur Richard Donner, der zum behutsamen Umgang mit Parodie mahnte, führte dazu, dass Donner gegen Ende des Drehs von Teil 2 gefeuert wurde. Mit der absurden Konsequenz, dass Nachfolger Lester größtenteils die schon fertigen Szenen neu und anders verfilmte. All dies betont nur das inkohärente Muster, das zwischen Luft und Boden, Mystik und Moral, Selbstironie und Slapstick am Boden hin und her taumelte. Nach dem Anfangserfolg des ersten, ernsthafteren Films mit dem unvergesslichen Christopher Reeve (auch in den folgenden Teilen) sanken die Einnahmen bei der Intensivierung der veralbernden Camp-Komponente. Teil 4 (1987), nicht mehr von Warner sondern Canon produziert, führte auf den Nullpunkt einer Kostendeckung bei mickrigen 15 Mio. Budget. Dieses Schema der sinkenden Einnahmen bei wachsender Selbstparodie wiederholte sich bei der Kinofilm-Serie zu Batman ab 1989 bis 1997. Tim Burton führte mit hohem visuellem und dramaturgischen Gespür in den beiden ersten Teilen Regie, im dritten Film leitete er die Produktion, während Joel Schumacher die Regie in Teil 3 und 4 übernahm. Ihm wurde die Schuld am mangelnden finanziellen Erfolg für das angeblich homoerotisch ausartende Finale zugeschoben (1989/90er Jahre). Durch die  Mehrfachbesetzung des Hauptdarstellers (Keaton in Teil 1und 2, dann Kilmer, Cloney) sowie durch die relativ mechanischen Konfrontationen mit einmaligen Gegnern litt die Ernsthaftigkeit der einzelnen Teile und die Kontinuität der Serie. Auch hatte man den Grundwiderspruch zwischen den Comicbildern (visuelle Intensität und Augenblicksverbundenheit) und dem am Ende oft nur aufgeblähten Filmdrama noch nicht verstanden. Allmählich setzte sich der Eindruck von prominenten Zufallsbesetzungen in einer beliebigen Comic-Oper oder abgehalfterten Nummern-Revue durch. Batmans Gehäuse wurde zur bloßen Karriereschleuse. In der zweiten »Batman«-Serie ab 2005 schien ungleich mehr konzeptionelle und ästhetische Kohärenz zwischen Comic und Film möglich: mit Christopher Nolan als Drehbuch-Mit-Entwickler und Regisseur, mit einem in sich zerrissenen und dabei doch logisch verzahnten Erzählstil, offen für ungewöhnliche optische und dramaturgische Effekte sowie einer schauspielerischen Spannbreite zwischen Realismus und Expressionismus an vielen urbanen Locations und Modellen einer klassizistischen oder postmodernen Architektur zwischen Chicago und Hongkong, mit dem extremistischen Titeldarsteller Christian Bale und mit dem genialen Heath Ledger als Joker, der noch Jack Nicholson toppte. Allein dieser zweite Batman-Film »The Dark Knight« spielte  eine Milliarde ein (2008).

Längst waren zahlreiche Autoren-bzw.-Erwachsenen-Stoffe auch in der inzwischen anerkannten Comic Kultur 80er und 90er Jahren herangereift. Viele erschienen bei Vertigo, einem DC-Unterlabel, und fanden den Weg ins Kino, um dort zumindest ästhetisch, wenn nicht kommerziell, Akzente zu setzen: Alan Moores und Dave Gibbons’ politischer Parallelwelten-Abgesang auf das unterdrückte US-Comicuniversum »Watchmen«, Max Allen Collins’ »Road to Perdition«, John Wagners und Vince Lockes »History of Violence«, Alan Moores, Steve Bissettes and John Totlebens  »Hellblazer«-Figur »Constantine«, Alan Moores und Kevin O'Neills literarischer Kompilationsstreifen »Liga der äußergewöhnlichen Gentlemen«, Alan Moores und David Lloyds anarcho-totalitäre Parabel »V wie Vendetta«. Doch erst mit Christopher Nolan und seinem weiterentwickelten »Memento«-Style scheinen die im Untergrund und in der Subkultur schwelende Auteur-Kategorie zwischen bildender Kunst, fragmentierter Epik und Intensivierung des Dramas zwischen Mensch und Millionär, Mut und Maske auch im filmischen Reich der berühmtesten Superheroes angekommen zu sein.

Kinoerfolge in Marvels robustem Universum

Marvel, 1939 als Timely-Verlag gegründet, expandierte konsequent seit den späten 1990ern ins groß angelegte Superhelden-Kinogeschäft. Und zwar ausgerechnet mit X-Men, einer relativ spät zum Erfolg berufenen Serie. Stan Lees und Jack Kirbys »X-Men« waren in den 1960er Silber-Jahren kein großer Comicerfolg, erst die Neufassung ab 1975 durch Dave Cockrum, Len Wein und Chris Claremont brachte in den 80er und 90er Jahren den Durchbruch. Die X-Men bekamen den Status von politischen und ethnischen Outsidern, als Mutanten begabt oder verflucht, bei ungeklärter Genese, beginnend mit Magnetos nur angedeutetem KZ-Schicksal als jüdischer Jugendlicher. Sie waren eine Minderheit, mit der die evolutionären Normalos nichts zu tun haben wollten und deren Repräsentanten sie sogar, aus zwielichtigen Motiven wie der Wissenschaftsschurke Stryker, verfolgen und unterdrücken ließen. Wieviel Überzeugungsarbeit bedurfte es, um zu akzeptieren, dass der X-Factor im Prinzip demokratisch, also in allen menschlichen Genpools verankert ist und mit besonderer Sorgfalt entwickelt werden muss? Und wieviel Hellsicht und Klugheit musste Professor Xavier, mit nur in seiner Mutanten-Schule, aufbringen, um alle friedlich beieinander zu halten und feindliche Gegenschläge zu verhindern? In apokryphen Comics hat auch er eine dunkle Seite. Bryan Singers erster X-Men-Film (2000) spielte weltweit 296 Mio. Dollar ein, noch einträglicher waren die ebenfalls von ihm »X 2« und Teil 3 (rund 408 Mio. Dollar und 459 Mio.).  Matthew Vaughns »X-Men: First Class« (2011, 350 Mio. Dollar, Verleih 20th Century Fox), das jugendliche Prequel zur bisherigen Serie, vertiefte die Vorgeschichte des Helden Xavier und seines Rivalen Erik Lensher/Magneto im Kontext der Kubakrise. Das Eingreifen der jungen Superhelden ist zwar eine unglaubliche, politisch-militärische Leistung, eine Superman-Leistung im Team,  aber durch die Geschichtsbestätigung der Konfliktlösung ist der Ruhm zum Verschwinden verurteilt. Die Tendenzen zur Parallelwelt und Geschichtsentgleisung werden eingedämmt. Magneto hatte übrigens sein X-Men-Comic-Debüt 1963, konzipiert von Stan Lee und Jack Kirby, aber auch Erik Lensher ist bereits ein Pseudonym, der ursprüngliche Name war Max Eisenhardt und ist verbunden mit einer Odyssee durch den europäischen Holocaust zwischen Deutschland, Warschau, Auschwitz und Vinnytsia. Das finanziell gebeutelte Unternehmen Marvel hatte neue Dauereinnahmequellen in Aussicht. Damit waren die Zuschauer auf den nötigen Mutanten-Minderheiten-Teamgeist geeicht. In »X-Men-Origine: Wolverine« (2009, Drehbuch: David Benioff, Len Wein; 373 Mio. Dollar Einnahmen) wird die Vorgeschichte von James Howlett/Logan/Wolverine gezeigt. Das Comic-Debüt präsentierte Wolverine 1974, an seiner Gestaltung und Entwicklung wirkten Len Wein, John Romita, Sr., Herb Trimpe, Chris Claremont, John Byrne und später auch Frank Miller (dieser 1982) mit. Die Herkunft Wolverines bleibt zunächst unklar, seine blutige Geschichte wird aufgrund seiner Regenerationsfähigkeit immer weiter zurückverlängert. Der Film nutzt dabei die maximale Zeitspanne. Wolverine erscheint als entseelter animalisch aggressiver Outsider und Wanderer,  Soldat und Aussteiger. Er nimmt zusammen mit seinem rivalisierenden Bruder Victor am Amerikanischen Bürgerkrieg, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und an den Massakern von Vietnam teil. Der Film zeigt, wie die Kriegserlebnisse bei Wolverine auch noch im Frieden nachwirken. Er gerät in die Fänge des intriganten Militärwissenschaftlers William Stryker. Er manipuliert Gehirn, Gedächtnis und Willen seiner Soldaten, hetzt sie gegeneinander und will aus ihnen blind tötende Waffen schmieden. Nur mit Mühe gelingt es Wolverine und anderen Mutanten, sich aus Strykers Gefängnislabor zu befreien.
In den folgenden Marvel-Kinowerken wurden die älteren Superhelden aufgefrischt durch Soloauftritte: »Hulk« (zwei inhaltlich leicht verschobene Versionen, 2003/8), »Thor« (2011), »Iron Man« (zwei verschiedene Teile 2008/10) und »Captain America: The First Avenger« (2011), alle auch in zukünftigen Crossover-Filmen Mitglieder des Avenger-Corps.

Zu weiteren Marvel-Kinofassungen des letzten Jahrzehnts gehören u.a.: Marv Wolfmans und Gene Colans »Blade« in bisher drei Verfilmungen (als »Shaft«-Daywalker, gespielt von Wesley Snipes, Halb-Mensch-Halb-Vampir-Hybrid, der erste Film 1998 unter der Regie von Stephen Norrington; Drehbuch David Samuel Goyer, der auch mit Nolan am Script und der Story der drei neueren »Batman«-Teile arbeitet; die Comicvorlage »Blade« wurde ausgekoppelt aus »The Tomb of Dracula«). Stan Lees und Steve Ditkos »Spider-Man« (ab 1962 als Comic), erwirtschaftete 2002 als Film unter Federführung Sam Raimis pralle 822 Mio. Dollar, ein Megahit, ebenso lukrativ wie seine vom selben Regisseur inszenierten Nachfolger, - vielleicht auch wegen Peter Parker als von einer radioaktiven  Spinne gebissenes Harry-Potter-Streber-Vorbild (Drehbuch David Koepp).

Dazu passen auch die Kinoeinnahmen aus den bereits genannten Neuauftritten der Altsuperhelden: Passabel wurde Stan Lees, Don Hecks und Jack Kirbys »Iron Man« (1963, ab 1968 in eigener Comic-Reihe), 2008 von Jon Favreau verfilmt, mit einem satten Ergebnis von 595 Mio. Dollar, dem sich ein Nachfolger 2010 mit 624 Mio. anschloss, zugleich mit erheblich ausgeweiteter Figurenvernetzung in der Marvel-Welt. Weniger erfolgreich nahm sich die zweimalige Kinoumsetzung von Stan Lees und Jack Kirbys 1962 als Comic erschienenem »Hulk« aus (1962). Sie schien ein wenig an dem »Superman«-Streit-Syndrom zu kranken, obwohl dieser erste »Hulk«-Film seine eigenen Qualitäten aufwies. Zunächst lieferte er eine präzise Erklärung der Herkunft von Hulk, dem zeitweisen Wut-Wandler zwischen Mensch und grünem Riese. Und diese Erklärung unterschied sich durchaus von der Ironisierung des Ereignisses, Superman zu sein und den Menschen nur als Maske vor sich herzutragen. Reflexiv und mit feiner Ironie erzählte Ang Lee 2003 den Ursprung von Bruce Banner, dem späteren Hulk, aus verunglückten bionuklearen Experimenten mit belastetem Erbgut und einem tiefen, ödipal ausgestalteten Vater-Sohn-Konflikt (Drehbuch: James Schamus, Michael France, John Turman). Fünf Jahre später wurde Hulks Situation, plakativer und gewalttätiger, von Louis Leterrier inszeniert: Die Armee jagt den Verschollenen, mit dem Hintergedanken, normalgroße Soldaten von seiner Kraft aus einer Kombination von Blut-Serum und Gammastrahlen zu züchten, obwohl das Risiko einer Monster-Geburt immer noch nicht ausgeschlossen war. Es ging darum, Hulk nicht nur als unkontrolliert grün wuchernde und wieder zum Menschen zurückschrumpfende Wut-Energie zu zeigen, als Fehlexemplar einer bald besseren Supersoldatenrasse, sondern gerade in seiner Unberechenbarkeit auch als rational kalkulierbares Wesen, als einsichtige und in Zukunft vielleicht sich in die Wut und aus ihr heraus steuernde Person. Dieser zweite Film sollte vor allem für die Startposition 1 der neuen »Hulk«-Serie stehen, flankiert vom fadenscheinigen Argument, beide Filme handelten von Parallelwelten. Die Einnahmen waren jeweils mäßig und wurden vom Budget (je ca. 150 Mio. Dollar) über die Hälfte »aufgefressen«. Vielleicht auch, weil Optik und Mechanik von Wachsen, Wüten und Schrumpfen dazu führte, die psychologische Aussagekraft beider Filme zu unterschätzen.

Propagandatests zur Verteidigung der Zivilgesellschaft

Inhaltlich spricht allerdings einiges für die Instinktsicherheit der bisherigen großen Produktionsschritte bei Marvel. Man begann mit der auch historisch jüngeren Figurenwelt der X-Men, also den verfolgten und prekären Jungsuperhelden und stellte ungeklärte Mutationsfähigkeiten und sowie politische Auseinandersetzungen über friedliche Koexistenz oder strategisch-militante Rivalität von Normalen und Begabten zur Diskussion. Bei der zweiten »Hulk«-Produktion wurde der Blick zurückgewendet auf einen der älteren Helden, der unter einem vorübergehenden und hochdramatischen Übergang zwischen Normalfigur und Superzustand leidet. Die Verbindung zwischen Real- und Trickfilm wurde differenziert und damit der Charakter verfeinert (vor allem durch das Motion-und-Performance-Capture-Verfahren). Die Gesamthandlung wurde ohne den Vater-Sohn-Konflikt weiter ausgefeilt (Drehbuch: Zak Penn und Hulk-Darsteller 2 Edward Norton). Auf diese Weise konnten sich die Idee der monströsen Verwandlung und Rückverwandlung zwischen Unglaublichkeit, Bedrohung und Bestrafung ebenso wie die Frage der Kontrollierbarkeit weiter zuspitzen. Bei der Exposition von »Iron Man« ging es, ähnlich wie bei Batman darum, sich als bloßer Mensch auf Verstand und Technik zu verlassen, um im Rüstungskostüm den zwiespältigen Eindruck übermenschlicher Kraft und Geschwindigkeit zu erreichen. Die Transformation war also nur äußerlich und ersehnte doch die innerliche Vollständigkeit. Hybris und Eigenkontrollverlust drohten bei kompletter Unterwerfung unter die Technologie. Mit »Thor« wurde eine Parallel- und Gegenweltstruktur zum Marvel-Universum eingeführt, die uralte nordische Mythologie im Kontrast zur modernen Welt, während spätere Episoden beide Universen in chaotische Verbindung bringen, durch die langfristige Verbannung des gutherzigen Odins-Sohnes Thor mit alternativer Identität als Dr. Don Blake auf die Erde und die heimtückische Invasion des gauklerischen Tricksters Loki – und später sogar noch durch einen Sci-Fi-Hintergrund für den Ursprung der Asen. Der Film konzentriert sich auf ein kurzfristigeres Abenteuer: Konflikt zwischen Göttervater Odin und Sohn Thor, angefacht vom intriganten Adoptivsohn Loki, der von seinen Stillhalteabkommen eingeschläferte und über die wahre kritische Lage geblendete Odin verstößt mit Thor den Falschen auf die Erde, unter Entzug der göttlichen Macht, um Demut und Respekt einzufordern. Die Hilflosigkeit Thors, Unterstützung von irdischen Forschern und Freunden, Lokis Angriff aus dem Himmel, Aufdeckung der Intrige, Bereitschaft zum selbstlosen Opfer, Wiedergewinnung der Kraft über den Hammer, Wiederaufstieg in den Götterhimmel, Endkampf, Lokis freiwilliger Absturz als getarnte Flucht. Die Konzeption von »Thor« lag nach Sam Raimis Anfangsskript jahrelang in der »Hölle« der andauernden Weiterentwicklung und Umbesetzung und zeichnet sich heute durch ein entsprechendes Mischmasch-Know-How von X-Men über Andromeda, Terminator bis hin zur Simpsons-Familie als der ultimativen »King Lear«-Variante aus (Drehbuch: Ashely Edward Miller, Zack Stentz, Don Payne). »Captain America« vereinigt in der Person des Titelhelden über den Kriegspatriotismus hinaus folgende Motive:

- der Einsatz aller denkbaren Aspekte im Kampf um die Verteidigung oder Zerstörung einer zivilen Gesellschaft.

- der präzise Rekurs auf Subjekt und Objekt, Aufklärung und Geheimhaltung, Natur und Technologie, Ethik und Strategie, Verständigung und Konflikt, Mythologie und Wissenschaft,

- offene und verdeckte riskante biologische und nukleare Versuche,

- die paradoxe Entwicklung vom schwachen Normalmenschen zum gutmenschlichen oder bösen Superhelden/Supersoldaten (irreversibel oder reversibel),

- das Risiko der Fehlentwicklung und des überraschenden Umschlags, moralisch vom Guten zum Bösen, physisch vom Normalen zum Prachtexemplar oder Monster.

Mit seiner Deutschland-Premiere 2011 startet der von Joe Simon und Jack Kirby in den 1940ern konzipierte und von Joe Johnston stilsicher und seltsam-cool inszenierte »Captain America: The First Avenger« (Drehbuch: Christopher Markus und Stephen McFeely) auch als politisches Retro-Propaganda-Lehrstück: Was kann ein moralisch sensibler, schmächtiger Brooklyn-Boy wie Steve Rogers (dargestellt von Chris Evans) in der Vorphase der US-amerikanischen Mobilmachung gegen das Europa unterjochende Nazi-Deutschland ausrichten? Eigentlich ist er kriegsdienstuntauglich. Der aus Deutschland emigrierte Doktor Abraham Erskine (alias Dr. JosePH Reinstein; dargestellt von Stanley Tucci) hat ein zweifelhaftes Super-Soldier-Serum entwickelt. Ausgerechnet in Steve Rogers asthmatischer Konstitution und seinem ausgeprägten moralischen Gewissen erkennt Erskine den richtigen Kandidaten für einen Versuch im Rahmen des US-Geheimprojekts Rebirth. Erskine: «If we have erred, Rogers will be dead within seconds! For, he is drinking the strongest chemical potion ever created by man! But, if we succeed, he will be the first of an army of fighting men such as the world has never known! His reflexes, his physical condition, his courage, will be second to none!« Glücklicherweise entwickelt er unter den Augen von Militär, Politik und Wissenschaft ungeahnte Muskeln und Körperkräfte. Ein feindlicher Nazi-Spion, namens Heinz Kruger, ist unerkannt anwesend und kann Erskine töten, bevor er sich nach einer Verfolgungsjagd selbst umbringt, um weiter nichts zu verraten. Zunächst wird der aufgefrischte Steve Rogers an die heimatliche Propagandafront geschickt. Im patriotischen Kostüm der US-Flagge tritt er als Militär- und Kriegsanleihen-Werber auf. Vor leichtbekleideten Showgirls legt er sich auf der Bühne mit einem tollpatschig hinterhältigen »Adolph-Hitler«-Darsteller (James Payton) an, dem er immer wieder den ikonischen Kinnhaken (erster Comic-Hefttitel) verpassen muß. In Bühnenshows und aufwändig inszenierten Filmrevues gewinnt er große Popularität, bleibt aber als Kämpfer eine Fiktion und wird für die Soldaten an der wirklichen Front eine Lachnummer. Endlich besorgt sich Steve Rogers einen militärischen Spezial-Einsatz, um seinen Jugendfreund Bucky zu retten. Gemeinsam mit Colonel Chester Phillips (Tommy Lee Jones), der Militär-Agentin Peggy Carter (Hayley Atwell) und unterstützt von Howard Starks  (Dominic Cooper) noch klobig-explosiver Waffentechnologie und dem Vibranium-Frisbee-Schild  nimmt er den Kampf auf, gegen Johann Schmidt, den Hitler-Vertrauten, Waffenexperten und Nazi-Erzschurken (gespielt von Hugo Weaving), und die Terror-Organisation HYDRA. Schmidts persönliche Kräfte sind denen Rogers’ ebenbürtig, aufgrund eines früheren Serum-Experiments ebenfalls unter der Leitung von Erskine in Deutschland. Der kritische Verlauf verunstaltete Schmidt allerdings zum gruseligen »Red Skull«. Schmidts okkulter Todes-Wahnsinn erweist sich als zügelloser faustischer Wille, überall nur Objekte seiner Verschwörungen und Vermachtungen zu erkennen.
Er hat einen mythischen kosmischen Würfel in Beschlag genommen und lässt mittels seiner Energie immer neue Wunderwaffen bauen. Sein Wahn überbietet selbst den des angeschlagenen Führers. Als militärischer Faktor könnte er ernsthaft den Sieg der Alliierten gefährden. Der Kampf zwischen Steve Rogers und Schmidt wächst sich zum phantasmatischen Ersatzkrieg jenseits der historischen Realität aus und bleibt ein eigenartig entlegener Showdown auf den Bühnen in den deutsch-österreichischen Alpen und im Nurflügel-Bomber mit Massenvernichtungswaffen auf dem Weg zu den US-Metropolen. Insofern behält der Film, auch in den auffälligen Lücken der Rahmenhandlung, die mediale Reflexion der Schauspielerrolle eines irrealen Superhelden bis zum Ende bei, wenn Steve Rogers in einem gefaketen 40er-Jahre-Krankenzimmer aufwacht und sich bei der Flucht nach draußen am Times Square einsam und traumlos im Medienbilderchaos der Gegenwart, nach 70 Jahren Kälteschlaf, wiederfindet.

Lauter rote Schädel und Disneys Drohung

Neben dem Nazi Red Skull alias Johann Schmidt gibt es in der Marvel-Welt den russisch-kommunistischen Red Skull alias Albert Malik, der Peter Parkers Eltern im Kreis des Spider-Man-Comic-Mythos umbrachte, nicht zu vergessen die Urform des US-amerikanischen Nazi-Überläufers, Industriellen und Saboteurs George Maxon. »Captain America« ist die Probe darauf, ob alte und neue Kriegs-Propaganda mit Action-Film und Superhelden-Mythos verbunden werden kann und selbst in den Zielgruppenländern geschluckt wird, die einstmals ideologisch auf der feindlichen Seite standen.

Marvel kooperiert derzeit mit Paramount, Columbia und Universal, 20th Century Fox mischte sich bei Teil 4 und 5 von X-Men ein. Disney entwickelte heftige Begehrlichkeiten für die 4-Mrd.-Übernahme des ehemals struppigen Comic-Verlags Ende 2009. Marvel und sein Figuren-Potential könnten Disneys immer noch angestaubtes Image revitalisieren: die familiengerechten und kindlich-naiven Fantasiewelten des toten Gründungsvaters mit seiner unerbittlichen Teamversklavung und der derzeitige »Hannah-Montana«-Mädchen-Boom sollten durch Wiederannäherung an junge männliche Kunden ergänzt werden. Eine glättende Disneyfizierung von Marvel-Inhalten und Produktionen wäre allerdings kontraproduktiv.

Konvergenz von Comic-Kunst und Digitalem Film

Die Einteilung des heutigen digitalen Comic-Kinos in wenige Lager ist eine fürchterliche Vereinfachung. Hier die bis zur Psychose verfeinerte Autoren-DC-Welt zwischen Religion, Action, Criminal und Detective Story. Dort ein polytheistisch-infantil-kraftstrotzender Marvel-Angestellten-Kosmos mit Transformationsriten zwischen fortgeschrittener Sozialtechnologie und behutsamer natürlicher Evolution. Superman und Batman einerseits und Spiderman und X-Men anderseits, das ist ein Stereotyp aus der fortgeschrittenen Medienkindheit. Wo bleiben die führenden Erfinder, aber auch zahllosen kreativen Autoren und Zeichner, Erfinder und Profiler, Reformatoren und Wiederbeleber, Abspalter und Integratoren, die hart arbeitenden Teams, die Aufbau- und Brotarbeit in den Grenzen der Verlage leisteten, irgendwann wechselten, für ihre Rechte als Künstler immer stärker eintraten oder unabhängige Verlage gründeten und die Individualität ihres Stils und ihrer Produktion immer weiter vorantrieben, bis sie von Jüngeren durch Computerdesign scheinbar reproduziert werden konnten?

Aus dem Ausläufer eines solchen Schmelztiegels der Neo-Noir-Avantgarde der 1980er Jahre stammt auch Mike Mignola und seine 90er Geburt »Hellboy«, der unumstrittene Geheimtipp und politisch unkorrekte Publikumsliebling in Guillermo del Toros Film aus dem Jahre 2004, der mit 99 Mio. Dollar nur ein Drittel mehr als das Budget einspielte und dennoch wegweisend für ein sprichwörtlich etwas anderes Comic-Kino blieb. »Hellboy« enthielt bereits ein komplettes und doch psychologisch vertieftes Polyversum älterer und jüngerer, gespaltener sowie abgrundtief schurkischer Charaktere und klammerte die psychotischen Nazi-Zeiten und ihre magisch-technologischen Wunschalbträume nicht aus, sondern drang ein in die Phantastik des Fortschrittswahns als einer braunen Hohlwelt, die nur aus der Resistenz des Höllischen und der US-Coolness selbst bekämpft und aufgebrochen werden konnte. Mike Mignola zeichnete für Marvel und für DC. Demnach wäre »Hellboy« zugleich das Beste und das »Schlimmstmögliche« von beiden Verlagen. Unter Frank Miller (»The Dark Knight Returns«, 1986; »Sin City«) arbeitete Mignola an der Marvel-Neufassung von »Daredevil« mit, für den Kurosawa-Freund Francis Ford Coppola und seine Bram-Stoker-Verfilmung zeichnete er das visuell eindringliche »Dracula«-Story-Board.  Mignola, Miller und Dave Gibbons, der grafische Partner von Alan Moore bei »Watchmen« 1986/7, DC Comics, wechselten schließlich zum unabhängigen Verlag Dark Horse Comics, den Mike Richardson 1986 gründete. Frank Millers Werke, »Sin City«, Anfang der 1990er Jahre, und »300«, Ende des Jahrzehnts, stellen die Quintessenz der Comic Marke Dark Horse dar: die Rettung der Visualität des Comics als Flucht in den lakonischen Super Noir Film Stil, der immer weiter auf seine japanische Wurzeln zuläuft (siehe auch den Manga-Import »Ghost in the Shell« 1989 von Masamune Shirow, alias Masanori Ota; verfilmt u.a.1995), der Hang zu einem eigenen stummen »Reich der Zeichen«, um die Details des gewöhnlichen Alltags mit martialischen Requisiten und vor allem durch den Kontrast von Licht und Schatten künstlerisch zu überhöhen. Epik und Haiku prallen aufeinander, abstrahiert und formalisiert, existentiell intensiviert und elegant monumentalisiert, ohne Scheu, vorhandene Symbole skrupellos zu zerbröseln und zu zerbrechen. Man könnte eine Legion von ästhetischen Notizen darüber schreiben, wie Eindrücke als Bildelemente, als mentale cinematografische Einstellungen und ikonische Regieschritte von Rahmen zu Rahmen dramatisch eingesetzt werden, um dabei das Material souverän zu beherrschen und zu inszenieren: gedruckte Worte, ornamentale Gesten, fließende Linien und bebende Flächen, wie sie im kommerziellen und künstlerischen Medium Comic über Jahrzehnte immer weiter überarbeitet und ausgefeilt worden sind; und wie sie sich im besten Falle zur exotischen Erscheinung der eingefrorenen und zugleich aufgeheizten Handlung im Bild kristallisieren, in der angedeuteten, angehaltenen oder ausgesparten Bewegung, einer äußeren und inneren Regung, in der plakativen Oberfläche und in der Öffnung zur berauschenden Tiefe. Das angebliche Trivialmedium Comic hat sich immer weiter geläutert, nicht zuletzt in Konfrontation mit der ostasiatischen Graphik in der klassischen Moderne um 1900, spätestens im Kontakt mit Japan 1945: zu einem überstilisierten Kunst-Medium, einem navigatorischen Hyperfilm der Raum-Zeit-Projektionen, Schnitte und Zeichen - genau zwischen 2-D und in 3-D, jener infinitesimalen Lücke, der sich das Kino heute im Wirrwarr zwischen der alten Komposition auf Zelluloid und der oft schnelllebigen digitalen Produktion immer stärker als Prägestock und hochauflösendes Leitmedium zwischen Move und Still, Story Board und Bluescreen verschreibt. Nur so ist die Lust an der fast unendlichen Wiederholung und Variation von Verfilmungen zu erklären, die gedrängte Folge von kompletten Produktionszyklen, wie bei Warner Bros. und »Batman«, wenn den schwarz-malerischen und burlesk-theatralischen Realfilmumsetzungen von Tim Burton und Joel Schumacher von 1989-1997 die dekonstruktivistische Erzählserie desselben Stoffes 2005-2012 durch Christopher Nolan folgte. Erst heute wird die visionäre Kraft von Frank Millers Neo-Noir-Comic »The Dark Knight (Returns)« aus dem Jahre 1986 auch cinematografisch verfügbar, wenn sich ein Regisseur in endzeitlicher Destruktion endlos weit von den Erwartungen früherer in sich geschlossener »Batman«-Abenteuerzyklen entfernt hat. Dabei fragen vor allem die jüngeren Zuschauer nach der Konsistenz der gezeigten Figuren und Ereignisse, ihrer zugrundeliegenden linearen Reihenfolge und der Kompabilität der entworfenen Welten und ahnen den Anspielungsreichtum der zugrundeliegenden Mythengeschichte.

Die Begradigung des Universums

Seit der Gründung 1934/37 hatte DC Comics mit der kreativen Eigenständigkeit und Fabulierkunst ihrer Mitarbeiter und der vor sich hinwuchernden Charaktere und Geschichten zu kämpfen. Abweichungen in den Figuren, Variationen in den dramatischen, sozialen, politischen und technologischen Konstellationen, Verschiebungen in den Referenzstorys  waren keine Seltenheit, sondern eher der Normalfall - speziell in den um Superman kreisenden Action Comics häuften sich Divergenzen an und wurden mit ständigem Bezug auf Parallelwelten und alternative Storys erklärt. Noch Bryan Singers etwas matte Verfilmung »Superman Returns« (2006) enthält hierzu Anklänge und bereitet andererseits die Zurücknahme der Parallelwelten vor, wenn der jüngere Superman feststellen muss, dass sein (aus »Superman« 1978 bekannter) Heimatplanet Krypton explodiert ist, jedoch sein irdisches Refugium aus Kryptonit in der Antarktis immer noch bewegende Botschaften vom Heimatplaneten und seinem Gott-Vater Jor-El alias Marlon Brando enthält. Die DC Comicwelt bestand aus dem Multiversum vieler fröhlich aneinander vorbei schwebender und manchmal sich spiegelnder Blasen. In einer inversen Gegenwelt konnte Superman böse und Lex Luthor gut sein. Während des Zweiten Weltkriegs erlebten der DC Verlag und der Marvel Verlag ihr »Goldenes Zeitalter«, in der Neuauflage ihrer Helden in den 1960er Jahren ihr »Silbernes«. Beide ließen ihre Helden je nach Konjunktur abtreten oder brachten sie in zeitgemäßer Version wieder neu heraus, scheuten auch vor zeitgeistigen Politisierungen, wenn absatzfördernd, nicht zurück. Mitte der 1980er Jahre wurden bei DC die Parallelwelten weitgehend abgeschafft und das gesamte Story-Archiv in Neuausgaben und erklärenden Zwischenepisoden in ein lineares Raum-Zeit-Kontinuum gezwängt, ergänzt durch gelegentliche Auszeiten und Lücken im Bewusstsein und der Vita der Superhelden. Die Zauberformeln heißen »Krise der Parallelwelten« (DC) und Retroaktive Kontinuität, meinen aber rückwirkende Löschungen, Veränderungen, Ergänzungen oder Umdeutungen von unstimmigen Varianten und damit die epochenweise Gehirnwäsche von Figuren, Künstlern und Rezipienten durch den Medienkommerz, der auf der Jagd nach neuen Produkten und Umsätzen ist. Der Kampf zwischen fabulierender Divergenz und kommerzieller Vereinheitlichung stellt zugleich ein Modell dar für den Drehbuch-Krieg des ständigen, aber folgenlosen Umschreibens, wie er oft bei Filmproduktionen stattfindet.

Marvels Eroberung eines Cineversums

Ein solcher Einschnitt, eine umfassende Einstellung und Wiederaufnahme, der Reboot von Superhelden, und gerade solchen, die dem digital verwöhnten weltweiten Kinopublikum, hier und da weniger oder gar nicht bekannt sind, stellt ein erhebliches Produktions- und Finanzrisiko dar. So auch bei »Captain America« und mehr noch bei »Green Lantern«. Produktion und Marktforschung können sich nicht auf eindeutig wiederholbare Erfolge von Comic-Verkäufen und Filmumsetzungen verlassen. Einerseits wird das Universum durch Einführung alter und neuer Helden, Rollen und Besetzungen pluralisiert, andererseits treibt eine schematische Erzählweise die Nivellierung weiter voran. Beide Verlage, DC, als Teil von Time-Warner, und Marvel lassen sich im Sinne der Welten-Standardisierung, des Cross-Over und der Team-Bildung durchaus von Kompromissformeln für den Erfolg leiten.

Im Falle von Marvel sind Thor, Iron Man, Hulk und Captain America jetzt als Teammitglieder und auch als potentielle Rivalen eingeführt. Innere und äußere Gefährdungen zeichnen sich mehr oder weniger deutlich ab, auch Quervernetzungen: von Hulk/Bruce Banner zu Iron Man/Tony Stark, von Thor zu S.H.I.E.L.D. und Clint Barton/Hawkeye, Erik Selvig und Jane Foster, von Captain America/Steve Rogers zu Howard Stark, zu S.H.I.E.L.D. und Nick Fury, von Thor zu Captain America durch den kosmischen Würfel, von diesem zu Johann Schmidt/Red Skull und Dr. Armin Zola, von Hulk zu den Fantastischen Vier und zu den X-Men. Die Distribution der Nachfolgefilme »The Avengers«, »Hulk« 3 und »Thor« 2 wird in den Händen Disneys liegen. Dabei könnte sich das Filmuniversum immer weiter, bis zur kreativen Unübersichtlichkeit ausdifferenzieren.

Im Gegensatz zu dem seelisch fragilen, künstlich verstärkten und relativ komplexen Charakter Captain America wird im Falle von »Green Lantern« wird mit Hal Jordan ein mittelmäßiger, kerngesunder, egozentrischer und leicht neurotischer Testpiloten-Charakter eingeführt. Er ist völlig überfordert, als er mit der kosmischen Kraft des Grünen Ringes des Green Lantern Corps konfrontiert wird, welches die Heimatgalaxie in 3.600 Sektoren Jedi-gleich vor der Kraft des immer stärker werdenden Bösen schützen soll. Der gesamte Film hält sich, bei allem Sci-Fi-Fantasy-Zauber und Anflügen von Humor, auf unterhaltsam mittleren Niveau eines 50er Jahre Films, relativ simpel erzählt, ein Stück weit besser als die »Grüne Hornisse«, mit plakativer 3-D-Technik und mäßigen schauspielerischen Leistungen.  Die digital aufgepeppte Retro-Trick-Ästhetik bleibt zwischen Aladdins Wunderlampe und dem telekinetischen Superballett am Zirkus-Himmel stecken.

Action-Marke versus Drama und Charakter

Die rein ökonomische Formel der Comic-Verfilmung wäre: So wenig Differenzierung wie eben nötig, so viel Einheitlichkeit wie möglich. Klar vermarktbares Kino statt verwirrender Plots und manierierter Bildsprache wie in »Hellboy« (Teil 1), einem Film, der das Eintauchen in verrücktere Comic-Welten und vertiefende Anspielungen auf verwandte Charaktere und Mythen erlaubt. Dagegen vertreten die Konzerne im Normalfall eher ein griffiges Erzählschema: den verkraftbaren Ausgleich zwischen Originalität und Fortsetzungsmarketing. Die Revitalisierung der Marke, nicht des Charakters ist gefragt. Psychologische Vertiefung hält sich spürbar in Grenzen: »Iron Man« wurde als Schema der Problematisierung neuerer Superhelden-Verfilmungen gelobt. Fast scheint es, als frage sich eine immer mobilere Gesellschaft vor allem: Wie menschlich darf sich ein Superheld noch fühlen, wenn er mal Pause hat? Wann ist er die Menschlichkeit endlich los? Die umgekehrten Frageperspektiven sind geradezu verblasst: Kann aus einem Menschen ein Superheld werden? Was bleibt vom Menschen übrig? Was ist der Mensch noch, außer Underground und Background, Bodensatz des Himmelsstürmers, Füllsel seiner Masken und Apparate? Wie weit darf man gehen? Lässt sich der Prozess überhaupt steuern? Ab wann sollte man aufhören? Die Frage der Hybris, die Frage der Selbst- und Fremdkontrolle und der Anfälligkeit für das Unmögliche, Nicht-mehr-Erträgliche und für das Böse werden nur am Rande gestreift.

Nolans Rolle: Der Auteur als zeitgemäßer Retter

Die cinematografische Ausnahme bleibt weiterhin Christopher Nolan, sein disruptiver Erzählstil und sein psychotisch angefachter und in die Krise Gothams gestürzter »Batman«. Nolans »Memento«-, »Dark-Knight«-, und »Inception«-Stil lässt sich eigensinniges Unikat von keiner Comic-Floskel mehr fernsteuern. Das Drama der ständigen Verirrung und Verwirrung öffnet sich gegenüber dem Comic, in Form eines großen Puzzles, ohne die Spannung zwischen den oft auseinander driftenden Ebenen zu dämpfen. Vielleicht werden daher auch Fortsetzung und Neuanfang der Superman-Verfilmung »Man of Steel« eine andere Wendung nehmen können. Der Titel bezieht sich auf John Byrnes und Dick Giordanos gleichnamige Miniserie 1986 im Anschluss an den vorübergehenden Tod Supermans. Christopher Nolan leitet die Produktion und die Story stammt vom bewährten »Batman-Dark-Knight«-Team Nolan und Goyer. Für die Regie ist derzeit Zack Snyder vorgesehen, der bereits unterschiedliche Inszenierungsrichtungen einschlug: die rein formale Comic Optik und die in Parallelwelten abgleitende Psychologie – ersteres in der statischen Verfilmung von Frank Millers Sparta-Comic-Serie »300« und letzteres in der zerdehnten Umsetzung von Alan Moores und David Gibbons’ »Watchmen«. Beide Erzählebenen realistisch zu verdichten - in einem dynamisch existentialpoetischen Individualismus zwischen Batman-Schwarz und Superman-Weiß, das wäre Zack Snyders Aufgabe. Entweder gelingt Snyder eine Lösung, oder Nolan muss einspringen.

Es sei noch verraten: Während Miller immer schon an den lakonischen Sprüchen seiner Helden vorbei auf die Textlosigkeit des reinen Bildes zusteuerte, schrieb Moore manche seiner Comics mit Textblasen und Anweisungen fast wie einen Bierdeckel zu, so dass für die gezeichnete Szene kein Platz mehr blieb. Der Comic wurde fast ungenießbar. Und wo Snyder in Bildern schwelgt, lässt Nolan die Worte und die Dilemmata nur so über die Einstellungen fließen.

Stan Lee entwickelte bei Marvel eine intelligente Methode für das Verhältnis von Text und Bild: Er vermied die Vorgabe einer Story in langen Worten. Der erfahrene Zeichner sollte nicht zum ausführenden Organ, zum bloßen Illustrator degradiert werden, sondern schöpferischer Coautor sein. Gemeinsames Brainstorming und eine knappe Zusammenfassung der Story sollten den Zeichner zur eigenständigen Umsetzung anregen, von der Disposition über die freien Seiten bis zur detaillierten Ausführung der Bildfolgen. Am Ende textete Lee behutsam passende Sprechtexte und Anweisungen an, die vom Letterer kalligrafisch eingesetzt wurden. 
 








Trailer:

Green Lantern


Captain America

 


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