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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Die Blüte der arabischen Wissenschaften

Der britischer Professor für theoretische Atomphysik Jim Al Khalili erzählt die arabische Wissenschaftsgeschichte.



Von Klaus-Jürgen Bremm, Osnabrück

Nun ist es endlich heraus: Die europäische Moderne ruht auf arabischen Fundamenten! So jedenfalls will es der deutsche Untertitel des sonst durchaus sachlichen Buches von Jim Al Khalili dem Leser suggerieren. Der im Vorspann aufgeführte englische Originaltitel lautet allerdings nur schlicht: Pathfinder. The Golden Age of Arabic Science. Was wollen uns also die deutschen Buchmacher mit ihrer Version mitteilen?  Dass Islam und Wissenschaft doch mit einander vereinbar sind? Oder dass europäischer Dünkel gegenüber dem Orient unangebracht sei? Wie auch immer: Der britisch-irakische Professor für Theoretische Atomphysik an der Universität von Surrey, Jim Al Khalili, spricht in seinem Buch ausdrücklich von einer Blüte der arabischen (nicht der islamischen) Wissenschaften, scheint aber selbst mit dieser Nomenklatur noch nicht besonders glücklich zu sein. Denn weder waren die Protagonisten des fraglos bemerkenswerten Aufschwungs nahöstlicher Gelehrsamkeit und Forscherdrangs im Abbassidenreich des frühen 9. Jahrhunderts durchweg Araber, noch waren sie in ihrer Mehrheit zum Islam konvertiert. Lediglich die arabische Sprache, in die damals die wichtigsten Werke der antiken Wissenschaft übertragen wurden, dient dem Autor hier als etikettierende Klammer, vergleichbar der kulturellen Rolle des Lateins im damaligen Westen.

Die systematische Übersetzungsleistung von Persern, Juden, Griechen und Syriern bildete dann auch, so Al Khalili, die Initialzündung zur Etablierung eines regelrechten Wissenschaftsbetriebes in der neuen abbassidischen Weltmetropole Bagdad. Der Verfasser stellt diese Entwicklung allerdings von Anfang an in den viel weiter gefassten Kontext einer altbabylonischen Forschertradition und vergleicht den Kalifen Al Ma’mun sogar mit den bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten des alten Zweistromlandes. Tatsächlich gelang es dem Sohn des im Westen weitaus bekannteren Harun Al Raschid in seiner kurzen Regierungszeit die namhaftesten Gelehrten des Orients in seiner prosperierenden Hauptstadt zu versammeln und mit dem Bau einer Sternwarte in Bagdad wohl das erste staatlich finanzierte Großforschungsprojekt der Welt zu initiieren. Es war ohne Frage eine einzigartige Zusammenballung nahöstlicher Intelligenz. Den Gelehrten und Forschern gelang es aber nicht nur, das reichhaltige Wissen der Antike für die (europäische) Nachwelt zu bewahren, sondern in vielen Bereichen auch erheblich zu erweitern. Dies gilt vor allem für die Mathematik, deren Entwicklung vor allem von dem iranischen Gelehrten Al Khwarizmi vorangetrieben wurde, einem Zoroastrier, von dem man nicht genau weiß, ob er tatsächlich zum Islam übergetreten ist. In seiner auf dem indischen Dezimalsystem beruhenden Al Jebr (Das Werk über das Rechnen durch Wiederherstellung und Ausgleich) befasste sich der allerhöchste Geograph des Kalifen bereits mit der Lösung quadratischer Gleichungen und Gleichungssystemen, die später unter dem Namen Algebra als dritte Disziplin der Mathematik (neben Geometrie und Arithmetik) zusammengefasst wurden. Mit dem Islam als Religion und Kultur schien dieser bemerkenswerte Erkenntnisdrang allerdings nur recht wenig zu tun zu haben, auch wenn die Vertreter einer damals noch einflussreichen rationalen Interpretation des Koran, die so genannten Mu’taziliten, dem wissenschaftlichen Betrieb in Bagdad zumindest keine Steine in den Weg legten.

Welche Rolle nun aber das so genannte dortige Haus der Weisheit in dieser Hochzeit orientalischer Wissenschaft spielte, in welcher Form und Intensität hier die Forscher mit einander diskutierten und ob es zu bestimmten Projekten auch schon eine professionelle Arbeitsteilung gab? Das vermag der euphorische Al Khalili nicht wirklich präzise zu beantworten, auch wenn er als Resümee die für einen Naturwissenschaftler etwas eigenartige Folgerung zieht, man besitze zwar nur wenige Informationen über dieses Haus, doch sein großartiger Ruf und der seiner Gelehrten seien vollkommen gerechtfertigt.

Im allerbesten angelsächsischem Erzählstil mit wohldosierten Abweichungen berichtet der im Irak geborene Verfasser über die Leistungen von Astronomen, Ärzten und sogar Chemikern aus dem Wirkungskreis dieser frühmittelalterlichen Forschergemeinschaft, die fraglos die wissenschaftliche Revolution des Westens vorbereiteten. Bemerkenswert erscheint auch die Vorliebe der Bagdader Forscher für empirische Verfahren, worin sie sich deutlich von ihren spekulierfreudigen griechischen Vorgängern unterschieden.
Kurzum: Die Bahn brechenden Leistungen eines Kopernikus, eines Galilei oder eines Newton wären ohne die Vorleistungen des Orients kaum vorstellbar gewesen. Gleichwohl waren es Europäer, die schließlich die entscheidenden Paradigmenwechsel zum heliozentrischen Weltbild und zu den Gesetzen der Gravitation vollzogen, obwohl sie für die arabische Welt zuvor schon Jahrhunderte lang in der Luft lagen.

Trotz seiner nur mäßig versteckten Sympathie für den islamischen Kulturkreis kann der bekennende Agnostiker Al Khalili nicht erklären, weshalb sich dieser so hoffnungsvolle wissenschaftliche Takeoff dann aber nicht in der islamischen Welt fortsetzte, warum er nicht dort eine Moderne anbahnen half, sondern in seinen bedeutendsten Versatzstücken schließlich in den Westen gelangte. Auf welchen Wegen nun die Errungenschaften der arabischen Wissenschaft Eingang in die europäischen Gelehrtenstuben gefunden haben, kann auch Al Khalili nicht schlüssig beantworten. Hier liegen ganz offensichtlich auch die Grenzen seines populärwissenschaftlichen Ansatzes, der eben eine Kärrnerarbeit wie die von Hans Blumenberg (Genesis der Kopernikanischen Welt) nicht zulässt. Über die von den Astronomen Al Tusi und Al Shati entwickelten Modelle der Planetenbahnen, die möglicherweise Kopernikus die entscheidende Anregung für dessen Heliozentrismus geliefert haben, kann er daher nur Vermutungen anstellen. Der Weg ging vielleicht über Konstantinopel, so glaubt der Verfasser, und Kopernikus könnte die Theorien von Maragha (zu den Planetenbahnen) während seines mehrjährigen Studienaufenthaltes in Italien kennen gelernt haben. Tatsächlich waren es lateinische Autoren wie Robert von Chester oder Gerhard von Cremona, die schon bald nach der Jahrtausendwende begonnen hatten, die wichtigsten Werke der so genannten arabischen Wissenschaft ins Lateinische zu übertragen und zu verbreiten. Gönnerhaft kommentiert Al Khalili diesen Vorgang: „Im Vergleich zum islamischen Großreich war Westeuropa zwar immer noch tief im dunklen Mittelalter gefangen, doch hier und da gab es aber aufgeklärte Herrscher, die eine begrenzte Form von Gelehrsamkeit förderten.“ Doch diese angebliche geistige Begrenztheit des Westens reichte immerhin aus, - im Gegensatz zu den nahöstlichen Epigonen - die Bedeutung der arabischen Schriften zu erfassen und für die eigene Forschung nutzbar zu machen. So dunkel also kann das europäische Mittelalter nicht gewesen sein.
 

Jim Al Khalili
Im Haus der Weisheit
Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur
Frankfurt 2011
ISBN 978-3100004246
432 Seiten,
22,95 €


 


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