Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik




Die menschliche Komödie
als work in progress


Zum 5-jährigen Bestehen ist
ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

 

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Cooks letzte Fahrt

Wer einmal zur See gefahren ist, der wird dieses Buch lieben.
Lukas Hartmanns grandioser Roman über die abenteuerliche Reise des Malers John Webber mit Captain Cook »Bis ans Ende der Meere«

Von Herbert Debes

Der Maler John Webber (Johann Wäber, 1751-1793), Sohn des nach London ausgewanderten Schweizer Bildhauers Abraham Wäber, nahm als Expeditionszeichner an der dritten und gleichzeitig letzten Reise (1776-1779/80) von James Cook teil und dokumentierte diese mit über 200 Gemälden und Zeichnungen. Darunter findet sich auch das Porträt von Poetua, der Tochter des Königs Orio von Ulietea, die als »Mona Lisa der Südsee« in die Kunstgeschichte eingegangen ist, und nun das Cover des Romans »Bis ans Ende der Meere« von Lukas Hartmann ziert.

John Webber, aus dessen Perspektive Hartmann uns die Geschichte erzählt, hatte Gelegenheit die Prinzessin zu porträtieren, als diese mit einigen Gefährten fünf Tage in Geiselhaft auf der Discovery verbringen mußte, und erst nach der Rückführung zweier desertierter Seeleute wieder freigelassen wurde. Davon, daß dieses Porträt im beengten Halbdunkel eines Schiffdecks entstanden ist, ahnt der naive Betrachter freilich nichts, präsentiert sich Poetua ihm auf der Leinwand doch unter freiem Himmel vor südseetypischer Vegetation.

Als Expeditionszeichner kommt dem jungen Webber, gut 50 Jahre bevor
Louis Jacques Mandé Daguerre ein erstes brauchbares fotographisches Verfahren entwickelte, eine besondere Bedeutung zu. Seine Skizzen, Zeichnungen und Gemälde bilden die alleinige Grundlage für eine später von der Admiralität Ihrer Majestät getroffene Auswahl, welche in Kupfer gestochen die herrschende offizielle Sicht auf die neu entdeckten Landschaften und Menschen dokumentieren sollen.

John Webber: Bucht von Oheitepha der Insel Otaheite

Im Fortgang der fast 4 Jahre dauernden Reise, die für den jungen Mann zu der Schlüsselerfahrung seines kurzen Lebens werden soll (er stirbt bereits 1793 an Nierenversagen als Spätfolge einer Erkrankung an Bord) erlebt Webber neben dem entbehrungsreichen Leben auf dem ehemaligen Kohlefrachter Resolution auch das drakonische Regiment, mit dem Cook & seine Offiziere die Disziplin an Bord aufrecht zu halten gewohnt sind. Begonnene Skizzen über die Auspeitschung eines Seemanns muß er wieder vernichten. Dagegen sind möglichst naturgetreue Wiedergaben von strategisch wichtigen Land- und Seemarken des Captains bevorzugte Motive, dessen herausragende Leistung bei der Kartographierung des Pazifischen Ozeans maßgeblich dazu beitrug, die Stellung Großbritanniens als See- und Weltmacht des 18. Jahrhunderts zu festigen.

Dramatischer Höhepunkt der Reise ist die Tötung des Expeditionsleiters James Cook durch Eingeborene am
14. Februar 1779 in der Kealakekua Bucht auf Hawai'i während eines Kampfes nach dem mißglückten Versuch, deren König als Geisel zu nehmen und sich auf die Boote zurückzuziehen. John Webber fällt die in mehrfacher Hinsicht undankbare Aufgabe zu, diesen tragischen Moment für den offiziellen Folianten der Admiralität seiner Majestät bildnerisch umzusetzen. Zum einen hat er die Szenerie lediglich von Bord der Resolution aus beobachtet, zum anderen erwarten die Mitglieder der Admiralität von Webber, den schon zu Lebzeiten legendären Cook als strahlende Lichtfigur darzustellen, der noch im Moment des Todes versucht, seine Mannschaften davon abzuhalten, auf die Eingeborenen zu feuern.

John Webber: Cooks Ende (Nicht die offizielle Version des Folianten)


Wie es wirklich war, das erführe die Witwe des Nationalhelden Cook auch gerne, und verschont Webber nicht mit unangenehmen Fragen. Als dieser ihr bei seinem zweiten Besuch, (beim ersten hatte er ihr ein Porträt Cooks überreicht, das in den Augen der Witwe keine Gnade gefunden hatte), den offiziellen Folianten der Admiralität mit den 60 Kupferstichen vorlegt, verlangt sie von ihm Gewißheit über die wahren Umstände seines Todes und reißt, als sie ihren Mann im Moment seines Todes in einer weißen Galauniform dargestellt sieht, wütend die Seite heraus.

Webbers Besuche bei Cooks Witwe, zu Beginn und Ende des Buches, bilden die dramaturgischen Pole, welche die Erzählung Hartmanns in Spannung halten. Eine Spannung, die ihren Reiz, neben den seefahrerisch bedingten Eigenheiten und Gefahren einer solchen Reise in jener Zeit, aus der Begegnung von privilegierten Repräsentanten einer sich für überlegen haltenden Kulturnation mit den in Naturwüchsigkeit lebenden »Wilden« bezieht.
Nun ist »Zivilisationskritik« ein großes Wort, und mancher Autor ist schon den sich in diesem Kontext aufdrängenden Versuchungen großer Versöhnungsreden und Betroffenheitsgesängen erlegen.
Lukas Hartmann indes schreibt nicht nach dem Strickmuster eines Drewermann-Pullovers. Er läßt Offiziere und andere Besatzungsmitglieder, die sich aus der Konfrontation zweier unterschiedlicher Welten ergebenden sozialen Konflikte und moralischen Zwickmühlen aus der Logik ihrer Zeit heraus behandeln, und in deren hierarchischer Struktur hat der Captain das letzte Wort.
Dieses Wort heißt »Ordnung«. Hoppla, will sagen, jene Vorstellung von Ordnung, die der jeweils herrschende Zeitgeist zu solcher erklärt hat. Und hier geht es Captain Cook wie vielen Ordnungsinstanzen der Weltgeschichte vor und nach ihm. Das zivilisationstragende aber Frustration stiftende Ordnungsprinzip zieht gegenüber einer enthemmten, weil Lust verheißenden Triebstruktur den Kürzeren. Cooks Segelmeister auf der Resolution, William Bligh, sollte es 10 Jahre später auf der Bounty aus ähnlichen Gründen nur insofern besser ergehen, als dieser am Leben blieb und 1805 zum Gouverneur von Neu-Süd-Wales (Australien) ernannt wurde.

Langer Rede kurzer Sinn, Lukas Hartmann hat mit seinem Roman »Bis an Ende der Meere« ein äußerst lesenswertes Buch geschrieben. Einen unterhaltsamen Bildungsroman, einen spannenden Entwicklungsroman und, was mich wirklich freut, ohne rot zu werden, sagen zu dürfen: einen historischen Roman, der diese Bezeichnung auch tatsächlich verdient.
 












Lukas Hartmann
Bis ans Ende der Meere
Die Reise des Malers John Webber mit Captain Cook
Diogenes
Roman
Hardcover Leinen, 496 Seiten
ISBN 978-3-257-06686-9
€ (D) 21.90 / sFr 38.90* / € (A) 22.60
 


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