Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik |
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Coltrane par coeur
René
Steininger zu
Ben Ratliffs gelungener Biographie Einem Bonmot Heideggers zufolge brauchte man, wenn man das Leben eines Aristoteles zusammenfassen wollte, dafür gerade mal einen Satz: Er wurde geboren, er dachte, und er starb. Daran mag auch Ben Ratliff gedacht haben, als er sich vornahm, ein Buch über Coltrane zu schreiben. Denn selten verlief das Leben eines Jazzmusikers so unglamourös wie jenes von John Coltrane. Er wurde geboren, revolutionierte den Bebop und starb knapp vierzigjährig an Leberkrebs, lange nachdem er seinen Alkohol- und Drogenkonsum eingestellt hatte. Weder Freunde noch Feinde, dunkle Anzüge, ein Haus in Long Island. Außerhalb der Konzertsäle ein unscheinbares Leben im Kreis der Familie. Konsequenterweise hat Ratliff darum auch keine Biographie über Coltrane geschrieben, sondern »die Geschichte seines Werks«. Es ist daraus das faszinierende Portrait eines Musikers geworden, dessen asketische Lebensführung nur der andere Ausdruck der unerhörten Konsequenz war, mit der er seine Kunst betrieb, als fortlaufendes Experiment und nachgerade metaphysische Expedition durch neue, fremdartige Klanglandschaften.
Ratliffs
Zugang ist der eines Kritikers, nicht Schriftstellers. Anders etwa als Geoff
Dyer, der in seinem 1997 erschienenen, inzwischen zum Kultbuch avancierten
But beautiful Fiktion und Fakten mischt und aus Anekdoten und narrativen
Mosaiken das Bild einer ganzen Epoche, ihren Swing und ihren Blues, ihr
Lebensgefühl zwischen Aufbruch und Tragik, wiederauferstehen ließ, hält sich
Ratliff penibel an dokumentiertes Quellenmaterial: Diskographien, Interviews,
autobiographische Dokumente. Der Sound ist für den Musiker, was für den Schriftsteller der Stil oder die Stimme ist. Es ist seine Signatur oder Syntax und das, was er der Struktur der Notensysteme an individuellen Modalitäten abgewinnt. »Irgendwann braucht jeder Musiker einen eigenen Sound«, den man »im Idealfall schon beim ersten Ton erkennt.« Leicht zu erkennen, ist dieser Sound aber sehr schwer zu bestimmen. Umso mehr, wenn die Ideen wie bei Coltrane ohne erklärende Lyrics und frei von theatralischen oder gesellschaftspolitischen Kontexten lediglich durch das Timbre, die Klangfarbe transportiert werden. Wie nun Coltrane zu seinem eigenen, unverkennbaren Sound gefunden hat, das ist Gegenstand des ersten Teils von Ratliffs Studie, der seinen langen Weg vom Begleitmusiker diverser anderer Jazzformationen zum charismatischen Bandleader nachzeichnet. Coltrane, der mit seinem Engagement bei Dizzy Gillespie im Oktober 1949 in den Jazz-Olymp einstieg, spielte in den fünfziger Jahren außerdem für Johnny Hodges, Miles Davis und Thelonious Monk, ehe er 1960 mit McCoy Tyner, Elvin Jones und Jimmy Garrison das wohl bedeutendste Quartett der Jazzgeschichte, »die größte kreative Beziehung zwischen vier Männern, die es jemals gegeben hat.« (Geoff Dyer), gründete. Sehr ausführlich diskutiert Ratliff die Begegnung mit Miles Davis, und das zu Recht, denn schließlich trafen hier nicht nur die beiden größten Jazzmusiker ihrer Generation, sondern zwei sehr unterschiedliche, in vielem konträre Künstlertypen aufeinander. Zwei Riesen, jeder auf seine eigene Weise einzigartig, die einander halfen und inspirierten, oftmals aber auch behinderten, störten oder einfach auf die Nerven gingen. In Anspielung auf ihre Schwierigkeiten beschreibt Ratliff ihre Spielweisen, und man fragt sich, wie es die beiden überhaupt so lange miteinander aushielten: »Der Sound von Miles Davis war zerbrechlich und punktiert. Der Sound von John Coltrane war mächtig und trocken, vielleicht ein bisschen halbgar – und sehr eindringlich.« Während Miles Davis nach einem Konzert seinen Erfolg am liebsten auf Partys feierte, spielte Coltrane im Proberaum hinter der Bühne einfach weiter. Dieser Zug ins Manische, der Coltranes harten, nervösen Stil mit den atemlosen Phrasierungen und den schnellen Akkord- und Tempowechseln seine elektrisierende Intensität verlieh, musste dem Lebemann Davis seinerseits oft nur wie die Unfähigkeit, mit irgendetwas abzuschließen, erschienen sein. Am besten veranschaulicht das schwierige Verhältnis der beiden Männer vielleicht folgende Anekdote: »Coltrane sagt zu Davis, dass er nicht so recht weiß, wie er seine Soli beenden soll. Davis entgegnet: 'Warum versuchst du nicht einfach, das Saxofon aus dem Mund zu nehmen?'«
Im
zweiten Teil von »Coltrane. Siegeszug eines Sounds« untersucht Ratliff
schließlich Wirkung und musikalisches Erbe von Coltranes Werk. Dabei kommen
selbst jene Musikfreunde auf ihre Kosten, die mit Jazz nicht allzu viel am Hut
haben. Denn wenn Coltrane im Laufe seiner kurzen Karriere mehr Einflüsse in
seiner Musik absorbiert hat als jeder anderer Jazzmusiker vor und nach ihm, so
hat er damit eben auch selbst einen Sound von grenzüberschreitender
Ausstrahlungskraft geschaffen. Spuren dieses Einflusses lassen sich
beispielsweise in Carlos Santanas Latinjazz ebenso nachweisen wie im Punkrock
eines Iggy Pop. Der romantisch-folkloristische Balladenstil von »My Favorite
Things« hat Popgruppen (The Doors, The Byrds) inspiriert, die kühle, erhabene
Spiritualität von »A Love Supreme« oder eben »Spiritual« aber auch
anspruchsvollere Rockbands, allen voran The Gratefull Dead, beeinflusst. Hatte
Coltranes suggestive »Repetitionstechnik« die vorwiegend weißen Kritiker
zunächst noch gegen ihn aufgebracht (wobei sie sich freilich auch nur
wiederholten, indem sie Adornos Verdikt vom Jazz als einem »standardisierten
Massenprodukt« mehr oder weniger bewusst bestätigten), so wurde sie in der
Folgezeit im Minimalismus eines Steve Reich oder Philip Glass inthronisiert und
gewissermaßen auf eine klassische Ebene überführt. »Coltrane. Siegeszug eines Sounds« entlässt wie alle guten Bücher den Leser mit einer Reihe offener Fragen. Als Coltrane sich am Zenith seiner Laufbahn dem Free Jazz zuwandte, überforderte er damit nicht nur das Publikum, das bei Konzerten der Band reihenweise den Saal verließ, sondern auch seine Begleitmusiker Mc Coy Tyner und Elvin Jones, die nacheinander das Handtuch warfen: »Ich konnte nicht mehr hören, was ich selbst spielte, erinnert sich Jones. Ich glaube, Coltrane ist gekränkt. Ich weiß aber nur, dass ich in diesen letzten Wochen andauernd Kopfschmerzen hatte.« Wohin hätte Coltrane sich weiter bewegt nach den Brachialausbrüchen des Olatunji Concerts, und wo wäre er heute, der am Ende einer Entwicklung gerne wieder die entgegengesetzte Richtung einschlug und stets bereit war, einmal Errungenes über Bord zu werfen, wenn er sich davon neue Impulse versprach? Gibt es einen Weg von Ascension, Interlar Space oder den letzen Live-Aufnahmen zurück zu Rhythmus, Harmonie und Melodie? Oder hatte Coltrane die Möglichkeiten seines Instruments oder gar die seiner Kunst tatsächlich ausgeschöpft, und legte er deswegen gegen Ende »bei mehr als einer Gelegenheit« das Saxophon erschöpft beiseite, um sich auf die Brust zu schlagen und ins Mikrophon zu heulen?
Ratliffs Buch antwortet
nicht auf diese Fragen, sondern lädt uns ein, sie mit ihm gemeinsam dort erneut
aufzuspüren und zu vertiefen, wo sie ihren Ausgang nahmen: in Coltranes Musik. |
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