Andere über uns
|
Impressum |
Mediadaten
|
Anzeige |
|||
Home Termine Literatur Blutige Ernte Sachbuch Quellen Politik Geschichte Philosophie Zeitkritik Bilderbuch Comics Filme Preisrätsel Das Beste | ||||
Jazz aus der Tube Bücher, CDs, DVDs & Links Schiffsmeldungen & Links Bücher-Charts l Verlage A-Z Medien- & Literatur l Museen im Internet Weitere Sachgebiete Tonträger, SF & Fantasy, Autoren Verlage Glanz & Elend empfiehlt: 20 Bücher mit Qualitätsgarantie Klassiker-Archiv Übersicht Shakespeare Heute, Shakespeare Stücke, Goethes Werther, Goethes Faust I, Eckermann, Schiller, Schopenhauer, Kant, von Knigge, Büchner, Marx, Nietzsche, Kafka, Schnitzler, Kraus, Mühsam, Simmel, Tucholsky, Samuel Beckett Berserker und Verschwender Honoré de Balzac Balzacs Vorrede zur Menschlichen Komödie Die Neuausgabe seiner »schönsten Romane und Erzählungen«, über eine ungewöhnliche Erregung seines Verlegers Daniel Keel und die grandiose Balzac-Biographie von Johannes Willms. Leben und Werk Essays und Zeugnisse mit einem Repertorium der wichtigsten Romanfiguren. Hugo von Hofmannsthal über Balzac »... die größte, substantiellste schöpferische Phantasie, die seit Shakespeare da war.« Anzeige Edition Glanz & Elend Martin Brandes Herr Wu lacht Chinesische Geschichten und der Unsinn des Reisens Leseprobe Andere Seiten Quality Report Magazin für Produktkultur Elfriede Jelinek Elfriede Jelinek Joe Bauers Flaneursalon Gregor Keuschnig Begleitschreiben Armin Abmeiers Tolle Hefte Curt Linzers Zeitgenössische Malerei Goedart Palms Virtuelle Texbaustelle Reiner Stachs Franz Kafka counterpunch »We've got all the right enemies.« |
Ein publizistisches Chamäleon
»Sehr
begabt und ziemlich wild« das war Sebastian Haffner zeitlebens ohne Zweifel. Er konnte seine Ansichten so rasch wechseln wie seine Hemden. Zu dieser Einsicht waren bereits Raimund Pretzels britische Kollegen gelangt, nachdem der ehrgeizige und überaus belesene Sohn eines preußischen Schulbürokraten 1938 seiner jüdischen Frau ins Exil nach Großbritannien gefolgt war. Das Deutsche Reich von 1871 betrachtete der fortan unter dem Pseudonym Sebastian Haffner publizierende Wahlbrite aus seiner neuen insularen Perspektive als fatale Fehlentwicklung. In seinem politischen Erstlingswerk: Germany, Jekyll and Hyde verkündete der Emigrant sogleich seinen kriegführenden Gastgebern die Überzeugung, das unselige Bismarckreich müsse nach dem alliierten Sieg wieder in jene Bestandteile zerschlagen werden, wie sie bis 1866 bestanden hatten. Nach dem Krieg aber sprach er sich plötzlich für ein starkes Deutschland aus, das als kontinentales Gegengewicht den sowjetischen Expansionsdrang hemmen sollte und teilte sogar mit Charles de Gaule die Auffassung, dass der Nationalstaat europäischer Prägung das logische Ziel einer langen historischen Entwicklung sei. In die Frontstadt Berlin zurückgekehrt bemängelte der naturalisierte Engländer, dass Adenauers konsequente Westpolitik die deutsche Teilung zementiere, plädierte aber dann im weiteren Verlauf des Kalten Krieges überraschend dafür, auf die Sowjetunion und ihre politischen Sateliten zuzugehen und auf eine Revision der europäischen Nachkriegsordnung zu verzichten. Nach einer publizistischen Zwischenstation bei der einflussreichen, aber ideologisch festgelegten Springer-Presse war Haffner Mitte der 1960iger Jahre als Kolumnist zum Stern gewechselt, wo er sich beinahe zwanglos in die rasch länger werdende Front der Kritiker des politisch und gesellschaftlich längst erstarrten Adenauerstaates einreihte und zum publizistischen Protagonisten einer neuen Ostpolitik wurde. Seiner öffentlichen Wirkung tat es auch keinen Abbruch, dass er die Bundesrepublik der 1960iger Jahre als faschistoid brandmarkte und nebenher regelmäßig gemeinsam mit der späteren Terroristin Ulrike Meinhof in dem von der Ostberliner Stasi finanzierten linken Blatt „Konkret“ publizierte. Es entsprach auch durchaus dem Zeitgeist gehobener Kreise, dass er den machtpolitischen Interessen der Ostblockländer ein erstaunliches Verständnis entgegenbrachte, während er immer wieder die Bonner Regierung und ihren transatlantischen Verbündeten zu einer Außenpolitik des Verzichts, des Rückzuges und der Selbstbescheidung ermahnte. Sein jüngster Biograf, der Bonner Historiker Jürgen Peter Schmied, bewertet in seiner jetzt beim Beck-Verlag erschienen Dissertation daher auch Haffners wiederholte Einlassungen über die osteuropäischen Verhältnisse als „kosmetische Beschreibungen“ und bezeichnet ihn ohne Anführungszeichen als einen Skandaljournalisten, der sich nicht zu schade war, sogar Breschnews Sowjetunion als ein „großartiges Machtgebilde“ zu bezeichnen. Seine historischen Parallelen platzierte er regelmäßig unter der Gürtellinie, wobei der Vergleich seines ehemaligen Verlegers Axel Springer mit Joseph Goebbels noch die harmloseste Anspielung war. Kopfschütteln löste dagegen Haffners Vergleich der Studentenunruhen Ende der 1960iger Jahre mit dem jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto aus. Die abwegigste Volte vollbrachte der einflussreiche Meinungsmacher und notorische Provokateur jedoch, als er in einer seiner letzten Stern-Kolumnen 1975 unter dem mahnenden Titel „Finger weg von Spanien“ für das in seinen letzten Zügen liegende Madrider Regime in die Bresche sprang. Dass der inzwischen hoch betagte Autor, dessen Emigration aus Hitlers Terrorreich noch keine 40 Jahre zurücklag, die Hinrichtung von fünf baskischen Terroristen durch die klerikal-faschistoide Franco-Diktatur gegen die geharnischte Kritik des schockierten Auslandes verteidigte, vermag auch sein durchaus wohlwollender Biograf nicht vollends zu erklären. Ausgewogenheit sei keine Kolumnistenpflicht, lautete der passende Wahlspruch des ungeheuer produktiven Autoren, der sich aber zumindest in der Frage seiner publizistischen Freiheit, wie Schmied betont, auf keine Kompromisse einließ. So wie er Anfang der 1960iger Jahre nach zwei Dekaden erfolgreicher Tätigkeit dem Observer den Rücken gekehrt hatte, als er sich in seiner Linie zunehmend von den Briten eingeschränkt sah, so verließ er auch wenige Jahre später die Welt, um dem damaligen Sensations- und Boulevardblatt des Alstervampirs Henri Nannen ein neues politisches Renommee zu verschaffen. Den großen Figuren der Geschichte hatte Haffner, der sich in späten 1970iger Jahren mit seinen viel beachteten Anmerkungen zu Hitler der jüngsten deutschen Vergangenheit zuwandte, stets besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Seine Studien über Bismarck und Preußen fanden dann auch bei einem historisch interessierten Publikum eine erstaunliche Beachtung, während die akademische Zunft, meist sozialwissenschaftlich geprägt, Haffners personalistischem Geschichtsbild eher ablehnend gegenüberstand. Tatsächlich ist heute das meiste von dem, was Haffner damals über die deutsche Politik zwischen 1870 und 1945 schrieb, in seinen Einzelheiten überholt und viele seiner griffigen Thesen waren auch, wie Schmied betont, keineswegs neu. Doch seine Fähigkeit, Strukturen und historische Entwicklungen klar, einleuchtend und in einem exzellenten Stil zu schildern, machen gleichwohl seine Bücher bis heute lesenswert Ohne Frage war Haffner ein Zoon politikon, das sich jedoch keiner bestimmten Richtung unterordnen ließ. Sein langjähriges publizistisches Wirken betrachtete er vor allem als politischen Kampf. Wie erfolgreich er jedoch damit war, lässt sich, so sein Biograf, nur schwer einschätzen. Für seine meinungsprägende Wirksamkeit spricht jedoch sein anhaltend hoher Bekanntheitsgrad in der alten Bundesrepublik und seine über ein Jahrzehnt währenden Angriffe gegen den verknöcherten Adenauerstaat, die – neben vielen anderen Einflüssen – schließlich ein breites Klima des Politikwechsels schufen. Ein Privatleben oder Freunde jenseits der Schulzeit hatte Haffner, dem Schmied einen „preußisch regulierten Gefühlshaushalt“ bescheinigte, offenbar kaum. Seine erste Frau, der er immerhin 1938 nach London gefolgt war, lebte später zurückgezogen und oft allein gelassen bis zu ihrem Tod 1969 in der gemeinsamen Berliner Wohnung. Ein besonders herzliches Verhältnis zu seinen drei Kindern bestand offenbar nicht, jedenfalls streift Schmied diesen Aspekt in Haffners Leben nur ganz kurz, obwohl ihm der größte Teil des privaten Nachlasses zugänglich war. Man vermisst als Leser derartige Privatheiten jedoch nicht besonders, war doch die Epoche, die sein Protagonist publizistisch durchlebte viel zu bewegt und dramatisch, um über anderes mehr als das notwendigste zu sagen.
Fraglos liegt der
Schwerpunkt von Schmieds Arbeit auf Haffners publizistischem Wirken, wobei ihm
zu bescheinigen ist, trotz seiner oft kritischen Anmerkungen ein ausgewogenes
und gut lesbares Porträt einer Jahrhundertgestalt abzuliefern. Dabei ist es ihm
nicht nur gelungen, Haffners oft abenteuerliche Positionswechsel vor dem
Hintergrund der zeitgeschichtlichen Ereignisse nachzuvollziehen, sondern dafür
auch plausible Erklärungsansätze zu liefern, die sich auf die besondere
Persönlichkeit seines Protagonisten berufen können. Nach Schmieds Worten blieb
er lebenslang ein „bindungsscheuer Einzelkämpfer“ und war allein schon deshalb
keiner bestimmten politischen Linie auf Dauer verpflichtet. Wenn überhaupt, so
trafen sich alle seine Argumentationslinien nur an einem tiefen Punkt, den er
nie völlig preisgab und vielleicht auch nicht einmal selber kannte. Schmieds
beachtliche Biografie, die aus seiner Dissertation hervorgegangen ist, dürfte
jedenfalls für lange Zeit das Standardwerk über Sebastian Haffner alias Raimund
Pretzel bleiben.
|
Jürgen Peter Schmied
|
||
|
||||