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Ein melankomisches Selbstporträt Mit Ludwig Fels' im Gastgarten »Ein Sonntag mit mir und Bier«
Von Lothar Struck |
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Der Blick nach oben zu einem Lämpchen, vielleicht gehört es ja zum Bratwursthäusle in Nürnberg, dem Ort der kleinen, vier Jahre nach seinem Tod erscheinenden, nachgelassenen Erzählung Ein Sonntag mit mir und Bier von Ludwig Fels. Ein Text, der nach Angabe des Verlags 2018 geschrieben wurde. Geringfügig sei er korrigiert und verändert worden, heißt es. Schade, dass man nicht mehr erfährt. Oder, besser: Schade, dass man es überhaupt erfährt. Das Büchlein wirkt aus sich selbst. Weg mit dem "Faulturm" der Kritik! Ein "Selbstporträt im Gastgarten" ist der Untertitel. Und tatsächlich setzte sich der Schriftsteller Ludwig Fels an einem Sonntag in diesen Bier- oder Gastgarten und wollte dort einen Roman schreiben, oder mindestens ein Gedicht oder er ist Hauptfigur in einem Film mit sich zugleich als Regisseur oder alles gleichzeitig. Zwischenzeitlich hatte man Ludwig Fels fast schon für einen österreichischen Schriftsteller gehalten, aber das war er nicht, obwohl er jahrzehntelang in Wien lebte. Er war ein "Vrange" (hochdeutsch: Franke) und zwar mehr als ihm lieb war, was sich jetzt in dieser Heimatbeschwörung mit vielen fränkischen Einsprengseln zeigt. Das Essen ist bestellt, die ersten Maß Bier wirken schnell. Er erinnert sich an Biergärten und deren Erzeugnisse in Antananarivo und Papua-Neuguinea, erträgt mannhaft die Busladungen Touristen in Wandertracht, die das Bratwursthäusle aufsuchen, imaginiert seine (vergebliche) Suche nach dem Yeti und setzt sich mit einem Mann mit Aktentasche auseinander, der ihm erklärt, dass er 20 Mark Honorar für einen Vierzeiler nicht ordnungsgemäss versteuert habe. Aber auch ohne Störungen verliert der icherzählende Fels schnell die Übersicht und räsoniert, lästert, schimpft, karikiert sich selbst als "Hilfsarbeiterhilfsschriftsteller" mit einem "Schreibmaschinenkunstgewerbeabschlußdiplom" und walzt die verhasste Vokabel des "Arbeiterdichters" lust- wie qualvoll aus. Da kokettiert jemand mit seinem Ruf, seinem Glauben an die Weltrevolution, fragt, ob man sich Karl Marx am Kreuz vorstellen kann und philosophiert über die "Banalität der Revolte". Er schämt sich fast für seinen Erfolg, der aber, wie er meint, eigentlich ein Scheitern ist, weil das einfach schöner ist und dann deliriert der Dichter, schreibt mal mit Bierschaum, dann mit Krügen (beides ist schwierig) und verrät ein Rezept, was man zusammenmixen muss, um "ganz schnell betrunken zu werden". Statt des Romans schreibt er erst einmal einen Vorschussbrief an seinen "Ferleker", denkt "an ein paar Hunderttausend, falls gefällig, aber so genau will ich es nicht nehmen – nehmen schon, aber eben nicht so genau." Und später eine "FRÄNKISCHE PROKLAMATION", in der "erotisch stimulierende Lyrikergüsse" angekündigt, oder eher angedroht werden. (Es bleibt bei der Bekanntmachung.) "Säue vor die Perlen!" Immer wenn er spürt, "daß das Glück wieder einmal einen großen Bogen geschlagen hat" und das Selbstmitleid droht, tauchen sie auf, die Toten. "Die Ahnen werfen" dann. Der Vater ohne Namen etwa. Simonetta, das Kind, das unbedingt leben wollte, und die Gründe des Vaters, warum man es abtreiben ließ, nicht akzeptiert. Gewissheit und Versuch des Trostes: Man habe es nie vergessen. Oder der Großvater, der mit dem gewöhnlichen Leben zufrieden war, seine Kaiser und Könige verehrte (besonders Ludwig II) und der mit der Schriftstellerei des Enkels nicht viel anfangen kann. Schließlich erscheint Onkel Karl, der seit dem 22.10.1943 vermisst ist und nun glaubhaft versichert, als Soldat bei einem Luftangriff in Kassel ums Leben gekommen zu sein. Ein anderer Onkel liebte den Schuhplattler und es wird ein Loblied auf den Tanz intoniert. Es gibt einen Anruf aus Australien, von der Frau, deren Zunge "wie ein Radiergummi" für sein Schreiben war und die ihn "fernab der Elfenbeintürme und Luftschlösser" hielt. Am Ende überfällt ihn die "gemeine Melancholie" wie immer, "wenn der Tag zu schön war." Urkomisch die Heimfahrt mit dem Taxi "hinein in den Malstrom der Heimat, der lebenslänglich hinunterzieht".
Es sind diese abrupten Szenenwechsel zwischen bierseliger, bisweilen
tollpatschig-spöttischer Launigkeit, dunklen Weltuntergangsimaginationen und von
zärtlicher Dringlichkeit umspülter Momente, zwischen denen die Erzählung stetig
pendelt und Ein Sonntag mit mir und Bier zu einem wuchtigen und zugleich
poetischen Prosatext machen.
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Ludwig Fels |
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