Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 

Home  Termine   Literatur   Krimi   Biografien, Briefe & Tagebücher   Politik   Geschichte   Philosophie  Impressum & Datenschutz


 








Eine gewisse Art von ungewissen Geschichten

Der französische Filmregisseur Claude Sautet gibt detailliert Auskunft

Von Wolfram Schütte
 

In den rund vierzig Jahren seiner Karriere hat der 2000 gestorbene Pariser Claude Sautet zwischen 1955 & 1995 dreizehn Filme gedreht, von denen die Hälfte zu den Chef d´oeuvres des französischen Kinos im 20.Jahrhundert zählen. Bloß 6, rsp.8 Jahre älter als Godard & Truffaut, wirkte er im Schatten der alle internationale Aufmerksamkeit bei den Cinephilen absorbierenden Nouvelle Vague. Der wenig ältere Jean-Pierre Melville, aber auch der wesentlich jüngere Francois Truffaut war mit Sautet befreundet.

Befreundet war der brillante Schauspieler-Regisseur aber auch mit Romy Schneider, die er wie kein anderer zum Erblühen brachte. In sieben seiner schönsten Filme spielte sie die weibliche Hauptrolle – u.a. neben Michel Piccoli oder Yves Montand, seinen beiden männlichen Lieblingsdarstellern. In seinem Spätwerk war es dann Emmanuelle Béart, die zweimal von Sautet (in den Kammerspielen „Ein Herz im Winter“ & „Nelly & Monsieur Arnaud“) von ihm besetzt wurde. Im Grunde hat er mit allen großen männlichen Stars des französischen Kinos seiner Zeit mindestens einmal zusammengearbeitet: Lino Ventura, Jean-Paul Belmondo, Gérard Depardieu, Serge Reggiani, Patrick Dewaere, André Dussollier, Daniel Auteuil, Michel Serrault,

Claude Sautet wollte zuerst Bildender Künstler werden, bevor er auf die IDHEC ging. Die Pariser Filmhochschule war nach dem 2. Weltkrieg fest in der Hand der KPF, also wurde der junge Student auch Mitglied der Kommunistischen Partei, ohne es jedoch lange zu bleiben.

Ein mit Menschen arbeitender Bildender Künstler ist der Filmregisseur de facto ja dann auch geworden. Zuvor hatte er in der arbeitsteiligen französischen Filmindustrie  Drehbücher „neu besohlt“ – wie Truffaut mit einer Metapher, deren Herkunft heute auch bereits erklärungsbedürftig zu sein scheint, das Handwerk eines Drehbuchautors bezeichnete, der professionell fremde Drehbücher so überarbeitete & dadurch „aufmöbelte“, dass sie für Regisseure & deren mise-en-scène „drehreif“ gemacht wurden.

Sautet hat die Eigenart solcher Drehbuch-Kooperationen auch beibehalten, nachdem er eigene Drehbücher für seine Filme, zumeist zusammen mit Jean-Loup Debardie oder Claude Néron, vorlegte. In den ebenso einlässlichen wie intimen Gesprächen, die der schüchterne Regisseur mit dem Romancier & Filmkritiker Michel Boujut kontinuierlich über Jahre hinweg geführt hat, erfährt man nicht nur detailliert alles Subtil-Wissenswerte über seine großen Filme von „Les choses de la vie“(1970) bis zu „Nelly & Monsieur Arnaud“(1995);^sondern auch erstaunliche Details seiner Lebensgeschichte, seiner Grundängste & seiner Bewunderung anderer Filmschöpfer.

So erzählt er, dass er als junger Mann weder ein regelmäßiger Kinogänger war, gar ein Cinéphiler.  Aber von einem Film war er so fasziniert, dass er ihn 17 (siebzehn) Mal in einem Monat wiedersah: „Le Jour se lève“ (1939) von Jacques Prévert & Marcel Carné. (Und warum er ihn doch nicht zum Vorbild seines eigenen Schaffens später gemacht hat.)

Diese 15 Sitzungen mit Boujot sind das Rückgrat des Buchs über den „Regisseur der Zwischentöne“, wie der Untertitel lautet. Wer das filmerzählerische Oeuvre Claude Sautets kennt, versteht, warum der Franzose den usamerikanischen Erzähler Henry James bewunderte: weil er dessen Ästhetik mit seiner  „gewissen Art von ungewissen Geschichten“ filmisch sehr nahekommt.

Sautet berichtet einmal, dass er & Michel Serrault, nachdem sie die Abschlussszene von „Nelly und Monsieur Arnaud“ gedreht hatten, „Michel und ich uns hinsetzten und zusammen weinten“. Dabei war der Exaktheitsfanatiker Sautet für seine Wutanfälle eher so berühmt & auch berüchtigt wie Flaubert, der seine Prosa laut brüllte, um ihre ästhetische Stimmigkeit zu prüfen & endgültig festzulegen. Obwohl der französische Filmemacher einmal das Thema aller seiner Filme in dem Satz zusammenfasst: „Die Dinge passieren nie so, wie wir es erwarten“, gab es für ihn - wie für Flaubert das „mot juste“ -  als Regisseur die einzig richtige Form der filmischen Darstellung für eine Person oder eine erzählerische Situation.

Francois Truffaut – einer von mehreren Kollegen, Mitarbeitern & Schauspielern, die in dem Buch auch mit kleinen Beiträgen über „den Meister“ zu Wort kommen – hat dem Freund nachgerufen, dass er die Figuren seiner Filme den Situationen vorziehe, in denen sie laut Drehbuch geraten sind, weil eben für Claude Sautet „Menschen wichtiger sind als die Dinge, die sie tun“.   Es wird diese Menschlichkeit gewesen sein, die Bertrand Tavernier bereits beim ersten Film, den er von Sautet gesehen hat (den Gangsterfilm „Der Panther wird gehetzt“ 1960), den Wunsch verspüren ließ, „den Mann, die Männer zu umarmen, die ihn gemacht haben und ihr Freund zu werden“.

Artikel online seit 21.05.22
 

Claude Sautet – Regisseur der Zwischentöne
Gespräche mit Michel Boujut
Aus dem Französischen Marcus Seibert
Alexander Verlag, Berlin 2022
304 Seiten. 13 Abb.
30,00  €

 

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Impressum - Mediadaten