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Jane Austen (1775 - 1817)
von Cassandra Austen
National Portrait Gallery, London



Deckblatt der Erstausgabe 1813


By a Lady

Jane Austens
»Stolz und Vorurteil« – Kunst oder Kitsch?

Von Paulina Zimmermann

Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil (Erstveröffentlichung Pride and Prejudice, 1813) führt den Leser in die Welt des englischen Landadels des 18. Jahrhunderts mit all seinen Regeln und Ritualen, er spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse von Austens Zeit wider. Es ist die Zeit, in der Ehen in der Regel arrangiert werden, vor allem in den höheren, den vornehmen Kreisen, es geht dabei vorrangig um materielle Absicherung, nicht um Liebe.

Dass Austen heutzutage eine der bedeutendsten britischen Autorinnen ist, liegt u.a. daran, dass sie durch ihre Romane auf die Unterdrückung der Frauen zur damaligen Zeit aufmerksam macht. Auch dass die Protagonisten in ihren Romanen ausschließlich weiblich sind, ist zu ihren Lebzeiten etwas Neues und Außergewöhnliches.

»Till this moment I never knew myself.« Biografisches

Jane Austens persönliche Lebensumstände gleichen sehr denen ihrer Charaktere. Sie selbst wird 1775 in einem Pfarrhaus, in dem ihr Vater – George Austen – als Geistlicher arbeitet, in Hampshire geboren. Sie hat insgesamt sieben Geschwister, sechs Brüder und eine jüngere Schwester, mit der sie sehr eng verbunden ist. Die Austens sind Familienmenschen und kümmern sich liebevoll um ihre acht Kinder, deren Gesellschaft sie genießen. Zudem kümmern sich die Eltern um die Ausbildung der Kinder, interessieren sich für ihre Karriere und freuen sich über ihre Erfolge. Die Austens erziehen ihre Kinder gleichberechtigt – es gibt keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Dies ist etwas, das in britischen Familien des 18. Jahrhunderts nur selten zu finden ist. Die Söhne und Töchter waren gleichermaßen kultiviert, humorvoll und gesellig. Diese Besonderheit in Jane Austens Erziehung hat gewiss ihr späteres künstlerisches Schaffen beeinflusst.

In diesem Kontext sollte man auch erwähnen, dass George Austen über eine große Bibliothek verfügt, die auch den Kindern zur Verfügung steht. Es ist vor allem der Vater, der Janes Interesse an Literatur fördert – obwohl es zu der damaligen Zeit als unschicklich gilt, wenn Frauen Romane schreiben. Und er unterstützt seine Tochter bei ihren ersten Schreibversuchen, die sie bereits ab einem Alter von zwölf Jahren startet. Jane erhält eine sehr gute Ausbildung, die sich aus dem Zusammenleben mit klugen Menschen und vor allem aus der Gesellschaft eines klugen Vaters ergibt.

1801 zieht Austen mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester nach Bath, wo sie knapp fünf Jahre leben. Die Familie ist nicht sehr wohlhabend – der Vater kann weder Jane noch ihre Schwester Cassandra mit einer Mitgift ausstatten. Jane Austen bleibt – wie auch Cassandra – zeitlebens unverheiratet. Sie bekommt zwar von Harrison Bigg einen Heiratsantrag, lehnt diesen jedoch ab. Finanziell sind Mrs. Austen und ihre beiden Töchter nach dem Tod von George Austen von den Söhnen resp. Brüdern abhängig. Als Janes Vater 1805 stirbt, zieht sie aus diesem Grund mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Southampton, wo sie vier Jahre im Haushalt ihres Bruders und seiner Frau leben. Danach steht ein Umzug auf das Anwesen ihres Bruders Edward an, da dieser von einem wohlhabenden Onkel adoptiert wird. Er kann es sich nun erlauben, seiner Mutter und seinen Schwestern ein kleines Landhaus zur Verfügung zu stellen.

Den drei Frauen bleiben nach George Austens Tod zwischen 122-140 £. Der Verkauf ihrer Romane beschert zudem einen Gesamterlös von ca. £ 630, etwa £ 12600 nach heutigem Geldwert. Jane Austen bleibt in diesem Landhaus bis zu ihrem Lebensende und verfasst und überarbeitet in dieser Zeit alle ihre Romane. 1815 erkrankt sie (heutzutage vermutet man, dass sie an einer Nebennierenrindeninsuffizienz – Addison’s disease – litt, einer Krankheit, die damals tödlich verlief). Noch im Mai 1817 reist Jane mit Cassandra nach Winchester, in der Hoffnung, dort geheilt werden zu können. Allerdings erliegt sie im Juli desselben Jahres mit nur 41 Jahren ihrer Krankheit.

Insgesamt verfasst Jane Austen sechs Romane: Verstand und Gefühl (1811), Stolz und Vorurteil (1813), Mansfield Park (1814), Emma (1815), Die Abtei von Northanger (1817) und Überredung (1818).
Ihr zweiter Roman Stolz und Vorurteil ist einer der bekanntesten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat dies u.a. auch mit der Verfilmung aus dem Jahr 1995 zu tun – ihr Roman wird im Auftrag der BBC mit Colin Firth in der Rolle des Mr. Darcy verfilmt.

Die erste Version ihres Romans veröffentlicht Jane Austen allerdings noch mit dem Titel First Impressions, zu diesem Zeitpunkt ist sie erst 21 Jahre alt. Ihr Vater gibt diese Version an einen Verleger, zunächst wird sie jedoch abgelehnt. Gut zehn Jahre später beginnt Austen erneut die Arbeit an ihrem Roman und 1813 wird er beim gleichen Verleger gedruckt, welcher zuvor auch ihren Roman Verstand und Gefühl verlegte.

»Erneuerung überlieferter Werte«. Der Roman

In Austens Roman Stolz und Vorurteil geht es um die 20-jährige (Protagonistin) Elizabeth Bennet, die mit ihren Eltern und ihren vier Schwestern, Jane, Mary, Catherine und Lydia, auf einem kleinen Landgut lebt. Wie zur damaligen Zeit üblich, versucht die Mutter ihre fünf Töchter relativ zeitnah zu verheiraten. Dazu müssen sie etlichen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgehen – zum Beispiel Tanzbälle besuchen, um mögliche Heiratspartner zu finden.

Mrs. Bennet sieht eine große Chance für ihre Töchter, als Mr. Bingley zusammen mit seinem Freund Mr. Darcy, einem wohlhabenden Adligen, in die Nachbarschaft zieht. Das Problem der Familie Bennet (die zum Landadel gehört, aber in bescheidenen Verhältnissen lebt) ist, dass das Vermögen nach Mr. Bennets Tod nur in männlicher Linie vererbt werden kann, d.h. sein Erbe wird auf seinen Neffen, Reverend Collins, übergehen. Dieser macht Elizabeth, der zweitältesten der Bennet-Töchter, zwar einen Antrag – den diese jedoch zum Entsetzen ihrer Mutter ablehnt. Elizabeth, kurz Lizzy, hebt sich von ihren Schwestern deutlich ab. Da sie aufgrund ihrer direkten und ehrlichen Art nicht mit jedem Mann einverstanden ist, erfindet sie immer wieder neue Dinge, die sie an ihrem potenziellen Heiratspartner stören. Der wohlhabende Adlige Fitzwilliam Darcy ist zunächst noch sehr in seinem Stolz und seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Kleinadel, dem Elizabeth angehört, verhaftet. Elizabeth hingegen verliert ihre Prinzipien nicht aus den Augen, sie äußert ihre Meinung, oft sehr zum Verdruss ihrer Mitmenschen. Dennoch muss man feststellen, dass auch sie von Vorurteilen geprägt ist, da sie sich häufig von dem äußeren Anschein trügen lässt.

Aufgrund ihrer Vorurteile erkennt Elizabeth zunächst nicht, dass Mr. Darcy sich tatsächlich in sie verliebt hat. Sie hält ihn für snobistisch und arrogant. Als er ihr – trotz seiner großen Vorbehalte gegenüber ihrer Familie – einen Heiratsantrag macht, lehnt Elizabeth prompt ab. Erst im Laufe des Romans werden die beiden Leitmotive, Stolz und Vorurteil, überwunden und letzten Endes siegt die Liebe.

Die zunehmende Erkenntnis- und auch Urteilsfähigkeit der Protagonisten treibt den Roman voran. Elizabeth denkt z.B., dass Mr. Darcy dafür verantwortlich ist, dass sich sein Freund Charles Bingley von Jane, ihrer älteren Schwester, zurückzieht. Intrigen und verstrickte Handlungsstränge, die Elizabeths Vorurteile Mr. Darcy gegenüber bekräftigen, sind die Folge, ehe am Ende ein erklärender Brief von ihm an Elizabeth Licht in das Dunkel bringt und der Weg für einen zweiten Heiratsantrag frei ist, den Elizabeth dieses Mal auch annimmt.

Zu Austens Lebzeiten, in denen der Roman angesiedelt ist,ist es üblich, dass Frauen früh verheiratet werden. Dabei wird sehr viel Wert auf die familiäre Herkunft, das Vermögen und das Verhalten der möglichen Heiratskandidaten gelegt. Insbesondere für den kleinen, ländlichen Adel geht es darum, durch eine gute Verheiratung der Töchter deren Lebensunterhalt zu sichern und die gesellschaftliche Stellung der Familie in der Hierarchie zu festigen. Vor allem in den unteren Schichten des Landadels ist man von funktionierenden nachbarschaftlichen Beziehungen abhängig. Eine Vermählung, die unter rationalen Gesichtspunkten stattfindet, vergrößert oft den wirtschaftlichen als auch den gesellschaftlichen Nutzen. Und genau dieser Nutzen wird viel höher eingestuft als die Liebe. Jane Austen hingegen zeigt, dass »die Wahl eines geeigneten Ehepartners – von männlichen Autoren oft als bloß erotisches Jagdabenteuer inszeniert – weitreichende soziale, moralische und kulturelle Implikationen“ hat und es dabei »nicht nur um das private Glück der beteiligten Individuen“ geht, »sondern auch um die Zukunft ihrer Familien“, in denen »über die Bewahrung und Erneuerung überlieferter Wertvorstellungen und Lebensformen entschieden“ wird (Jehmlich). Das führt oft so weit, dass einem Sohn, einer Tochter, die sich nicht an die ‚Vorgaben‘ der Eltern halten, das Vermögen, die Mitgift entzogen wird, um so Einfluss auf die Wahl des Ehepartners zu nehmen.

Austens weibliche Charaktere aber begeben sich häufig sogar ohne Mitgift auf den Heiratsmarkt, was offensichtlich ein Nachteil gegenüber einer jungen Frau mit einer stattlichen Mitgift ist.

Wider die Abhängigkeit der Frau
»You talk about all women as if they were fine ladies instead of rational creatures«.

Im 18./19. Jahrhundert ist es in Adelskreisen zudem üblich, dass die Ehefrauen keinerlei Arbeit nachgehen. Sie stehen hierarchisch gesehen unter ihrem Ehemann, weswegen sie ihm selten widersprechen und ihre eigene Meinung oftmals zurückhalten. Es war zur damaligen Zeit typisch, dass sich eine Ehefrau bescheiden, gar unterwürfig zu verhalten hat. Sie soll attraktiv sein – Bildung ist zwar von Vorteil, dies soll aber auf keinen Fall dazu führen, dass sie rebellisch wird. Bleibt eine Frau unverheiratet, so ist sie davon abhängig, dass sie bei einem ihrer Verwandten im Haushalt leben kann, meist sind es die Haushalte der Brüder. Eine gebildete, aber mittellose Frau kann höchstens als Gouvernante arbeiten, verdient mit dieser Arbeit aber nur sehr wenig Geld, sodass sie letzten Endes dennoch von ihren Verwandten abhängig ist. Abhängigkeiten lassen sich in allen Lebensbereichen finden: Frauen erhalten eine schlechtere Schulbildung als Männer (deshalb kann man den Erziehungsstil der Austens als relativ fortschrittlich bezeichnen), das Erbrecht benachteiligt sie, da nur Männer erbberechtigt sind, sie können sich nicht selbstständig fortbewegen, sondern immer nur in Begleitung eines Mannes etc. Auch die Literatur ist von Männern dominiert, da es für eine Frau nicht schicklich ist, zu schreiben. Jane Austen z.B. hat ihre Romane nie unter ihrem Namen veröffentlicht, sondern immer mit by a lady, was insofern recht fortschrittlich ist, da sie zwar ihren Namen nicht preisgibt, aber immerhin ihr Geschlecht. Anders als bei ihren Zeitgenossinnen Emily und Charlotte Brontë, die zeitlebens ihre Werke unter einem männlichen Pseudonym veröffentlicht haben.

Jane Austen weiß, wie es ist, mit vielen Geschwistern aufzuwachsen. Ihr Roman Stolz und Vorurteil zeigt, wie eingeschränkt die Rechte und Freiheiten der Frauen zur damaligen Zeit sind. Ihre Protagonistin Elizabeth Bennet widersetzt sich gesellschaftlichen Strukturen, sie löst mit ihrer direkten Art viel Empörung in der Gesellschaft aus, da sie ihre Meinung immer offen kundtut. Sie ist eine charakterstarke Figur, die sich von den anderen weiblichen Charakteren des Romans deutlich abgrenzt.

Mit ihren Romanen übt Jane Austen Kritik am Geschlechterverhältnis, einen Schwerpunkt legt sie auf die erzwungene Passivität der Frauen. Sie beobachtet die selbstgerechte Männerwelt und verurteilt diese durch die Handlungen ihrer Protagonistinnen. Austen lebt in einer Phase des gesellschaftlichen Wandels (es handelt sich um die Übergangsphase von der Romantik zum Realismus), in ihren Romanen thematisiert sie die politischen, soziologischen Dimensionen ihrer Zeit zwar nicht konkret, dennoch kommen diese immer wieder indirekt zur Sprache. Sie schreibt über das, was sie aus ihrer eigenen Lebenswelt kennt, hauptsächlich über Frauen aus dem englischen Landadel, vor allem aus der Gentry, dem niederen englischen Landadel. Man könnte behaupten, dass die geschilderten Probleme der Charaktere ziemlich banal sind – und sie sind es vielleicht auch, jedoch nur auf den ersten Blick: Es geht Austen immer wieder darum, die Ungerechtigkeiten, mit denen sich ihre weiblichen Charaktere auseinandersetzen müssen, zu benennen. Elizabeths Äußerung: »Er stammt aus bester Familie, und ich ebenfalls; in dieser Beziehung dürften wir uns wohl ebenbürtig sein“ zeigt, wie sie die Tradition gegen den Strich bürstet.

Auch die lebenslange Abhängigkeit einer Frau ist Austen ein Dorn im Auge: Zunächst ist die Frau von den Eltern abhängig, danach von ihrem Ehemann, ihre Zukunft hängt sozusagen vollkommen von ihm ab – mit der Heirat entscheidet es sich, in welchem Maß sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, mit wem sie verkehrt oder nicht verkehren kann, ob sie in der Gesellschaft respektiert ist oder nicht. Hat sie gar den Zeitpunkt für eine standesgemäße Heirat verpasst, ist sie von ihrer Verwandtschaft abhängig, die sie finanziell unterstützen muss, oft wird sie hier nur geduldet. Eine Frau verfügt zeitlebens über kein eigenes Einkommen. (Jane Austen gehört diesbezüglich einer kleinen Minderheit an, da sie mit den Einnahmen aus ihren Romanen ein zumindest kleines Einkommen hat, welches aber nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren – hier ist auch sie von ihren Brüdern abhängig.)

»Im 18. Jahrhundert noch war die Medizin überzeugt, dass Frauen dünnere, feinfühligere Nervenstränge“ (Pleßke) besitzen und dass sie aufgrund der schwächeren körperlichen Konstitution nicht in der Lage sind, zu denken. Trotz (oder gerade wegen) dieses Stereotyps lässt die Erzählerin Elizabeth alleine (!) einen Spaziergang machen, was dazu führt, dass sie ein frisches Aussehen hat (also das Gegenteil von der damaligen Vorstellung, dass Frauen blass sein sollten) und mit dreckiger Kleidung zurückkehrt – sie entspricht damit so gar nicht den vorherrschenden Vorstellungen. 

»Auf meine Art glücklich.
« Ein feministisches Werk

Auch Austens Zeitgenossin Mary Wollstonecraft fordert in ihrem Werk The Vindication of the Right of Women, welches 1792 erschien, dass Frauen sich an der frischen Luft bewegen sollen, um dadurch Körper und Geist zu stärken. Man kann also davon ausgehen, dass Austen sich an den (proto)feministischen Traktaten Mary Wollstonecrafts orientiert hat. Elizabeth wird somit zu einer kleinen Rebellin.

In Stolz und Vorurteil lehnt Elizabeth den Heiratsantrag ihres Cousins, Reverend Collins, ab, obwohl sie genau weiß, was passieren wird – sie wird nach dem Tod ihres Vaters mittellos. Dies offenbart, aus welchen Gründen eine Ehe (im 18./19. Jh.) geschlossen wird – nicht aufgrund von Liebe und Zuneigung, sondern aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen. Austen zeigt aber noch etwas anderes, nämlich die Ignoranz und Überheblichkeit der Männer. Collins versteht Elizabeths Ablehnung des Heiratsantrages nicht, er nimmt sie zunächst nicht ernst und geht davon aus, dass sie sich lediglich ein wenig ziert. »Aus all dem schließe ich, daß Ihre Ablehnung meiner Hand nicht ernst gemeint sein kann.« Elizabeth hingegen wiederholt ihre Ablehnung mit der Begründung, dass sie ihn nicht liebt: »Meine Ablehnung war im vollsten Ernst gesprochen. Sie können mich nicht glücklich machen«. Sie betont noch einmal, dass es keine Entscheidung des Herzens wäre, würde sie ihn heiraten. »Meine Gefühle verbieten es mir in jeder Hinsicht! […] Betrachten Sie mich nicht als eine schöne Frau, die Sie peinigen will, sondern als ein vernünftiges Wesen, das in vollem Ernst zu Ihnen spricht«. Elizabeth betont ihre Freiheit, Nein sagen zu können – sie wendet sich bewusst von den gängigen Gründen, eine Ehe einzugehen, ab.

Jane Austens Protagonistinnen sind mithin darum bemüht, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und gleichzeitig auch moralisch integer zu bleiben, sie kämpfen für ihr Glück und das Recht, über ihr eigenes Leben bestimmen zu können. Dieses Bestreben ist unter den geschilderten Umständen extrem schwer umzusetzen, da u.a. auch ein Ehemann dazu gehört, der dieses Bestreben letzten Endes zumindest akzeptiert, wenn vielleicht auch nicht gutheißt.

Hier dient wieder einmal Elizabeth als Beispiel, und zwar als sie Darcys ersten Heiratsantrag ablehnt. Dies geschieht, weil er Elizabeth gegenüber nicht von Zuneigung oder gar Liebe spricht, er erwähnt stattdessen, dass er seinen Stolz habe überwinden müssen. Nun, Elizabeth könnte sich jetzt freuen, dass sie die Möglichkeit hat, einen reichen und hoch angesehenen Mann zu heiraten, der ihr die Tür in die Gesellschaft öffnet und ihr ein finanziell sorgenfreies Leben ermöglicht. Doch das reicht ihr nicht, da Darcy derjenige ist, der wählt – durch seinen Heiratsantrag erlangt sie eine Bedeutung/Position in der Gesellschaft. Es ist also wieder einmal der Mann, der die Macht hat, die Zukunft der Frau zu lenken. Und an diesem Punkt sagt Elizabeth nein, sie geht keinen Kompromiss ein, da sie nicht von ihm abhängig werden möchte. Später nimmt sie seinen zweiten Heiratsantrag an, sie trifft diese Entscheidung jedoch auf der Grundlage ihrer eigenen Kriterien und schafft es dadurch, Darcy die allumfassende Kontrolle über sie zu entziehen. Sie heiratet ihn, weil sie (und nicht allein er und auch sonst kein anderer Außenstehender) das so entschieden hat. So sagt Elizabeth in einem Gespräch mit Lady Catherine (Darcys angeheirateter Tante): »[…] Ich bin lediglich entschlossen, so zu handeln, daß ich auf meine Art glücklich werde, ohne mich daran von Ihnen oder irgendeinem anderen Menschen […] hindern zu lassen« (ebd. S.332).

Jane Austen wird aufgrund ihrer Themen und Darstellungen häufig mit dem Feminismus in Verbindung gebracht. Feminismus ist jedoch ein Begriff, der sich nicht eindeutig definieren lässt, er existiert bereits seit Jahrhunderten und hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, es ist ein dynamischer Begriff. Er hat stets mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu tun. Mary Wollstonecraft beschäftigt sich in ihrem Werk The Vindication of the Rights of Women mit der Vernunft, der Freiheit und der Tugend von Frauen und kommt zu dem Schluss, dass es die gesellschaftlichen Bedingungen sind, die die Frauen ihrer von Natur aus vorhandenen Potentiale beraubt. Sie fordert, dass Mädchen/ Frauen mehr Bildung erhalten sollen.

»Subtil gestaltete Erzählkunst
«.  
Eine literaturwissenschaftliche Einordnung

Bis zum heutigen Tag gilt Jane Austen vielen Menschen als Verfasserin romantischen Kitsches. So gab es vor kurzem in einer Rezension der Mediaschool Bayern zur Verfilmung von Jane Austens Roman Emma u.a. Folgendes zu lesen: »Hierzulande gelten die Romane von Jane Austen für viele eher als besserer Stoff für Downton-Abby- und Rosamunde-Pilcher-Fans« (Fischbacher), es wird dort sogar von »Jane Austen-Schmonzette« gesprochen.

In der Literaturwissenschaft gelten gemeinhin jene Bücher als wenig relevant, die keine individuellen, innovativen Merkmale aufweisen, die nicht von traditionellen Erzählmustern abweichen. Reimer Jehmlich verweist in seinem Buch über Jane Austen darauf, dass »sie auf eben jene Handlungs- und Erzählklischees verzichtet, die damals breite Akzeptanz – und nicht zuletzt auch volle Kassen – versprachen.« Breite Akzeptanz erfahren zu Austens Lebzeiten historische Romane (wie z.B. Walter Scotts Ivanhoe) und Schauerromane (hier sei Mary Shelleys Frankenstein als Beispiel genannt). Mit ihrer Art zu schreiben, wendet Austen sich von diesen Modetrends ab. Bei den oben erwähnten Handlungs- und Erlebnisklischees denkt man sofort auch an die immer noch beliebten Heftchen-Romane, bei denen es i.d.R. erzählerisch nur auf einen spannenden Handlungsverlauf oder eine gefühlsbezogene, romantische Geschichte hinausläuft. Um die spezifische Erwartungshaltung dieser Leserschaft zu bedienen, sollte es der Autor unterlassen, diese durch zu komplizierte Handlungsstränge oder eine ungewöhnliche Erzählstruktur oder Erzählweise zu verwirren.

Autoren, die sich an ein anspruchsvolleres Lesepublikum wenden wollen und trotzdem einen gewissen kommerziellen Erfolg ihrer Bücher anstreben, neigen dazu, bekannte Erzähltraditionen individuell ein wenig zu modifizieren und ihre Texte dadurch abwechslungsreicher zu gestalten. Allerdings gilt es dabei, die Leser nicht zu sehr zu strapazieren, da eine breite Leserschaft angesprochen werden soll, für die die Geschichte, der Plot, im Zentrum ihres Leseinteresses steht. Solche Erfolgsautoren brechen die Regeln des Schreibens daher nicht.

Von Erzählungen oder Romanen von literarischem Wert, von künstlerischer Bedeutung spricht man dann, wenn die ästhetische Ausformung des Textes im Zentrum des Interesses des Autors steht. Dabei geht es um das Einzigartige des Schreibprozesses, d.h. Regeln werden gebrochen, ja sie müssen sogar gebrochen werden. Daraus entsteht dann eine eigene Ästhetik – sofern das Experiment gelingt. Der Autor will den Leser mit seiner persönlichen Interpretation der Frage wie ‚sollte‘ ein Roman geschrieben werden überzeugen. Es geht zentral um das look, how I have done it. Natürlich darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass Autoren in ihrer Zeit schreiben und dass vieles von dem, was heute keine besondere Aufmerksamkeit mehr erregt, vor geraumer Zeit als innovativ oder gar revolutionär betrachtet wurde. 

Untersucht man Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil unter diesem Blickwinkel, so wird schnell deutlich, dass eine Einordnung dieses Werks in die Kategorie Heftchen-Roman entfällt. Jane Austen bedient sich eines viel zu differenzierten sprachlichen Ausdrucks, um das Interesse von oberflächlichen Lesern wach zu halten. Mehr noch, die Autorin macht eine junge Frau zur Erzählerin ihres Romans, was zu der damaligen Zeit äußerst ungewöhnlich ist. Romanautoren waren in großer Überzahl Männer und ebenso waren die Erzähler und die Protagonisten männlich. Das Gesellschaftsbild, welches sich in der Literatur der Zeit widerspiegelt, wurde demnach aus der männlichen Perspektive gezeichnet. Dem stellt sich Austen entgegen, bei ihr wird das England des 18. Jahrhunderts durch die weibliche Brille betrachtet, auch in ihren weiteren Werken stehen ihre weiblichen Hauptfiguren im Fokus. Ihr Blick auf den damaligen Landadel ist durchaus distanziert und teils ironisch.

Die Wahl einer bewusst weiblichen Betrachtung der Realität, durch die Erzählerin des Romans, ist auch für den Leser ungewöhnlich. Austen zeigt sich noch innovativer in der Erzählperspektive des Romans. Sie nutzt für die damalige Zeit innovative Elemente des Erzählens – »die durchgehend weibliche Erlebnis- und Erzählperspektive, das Zurücktreten auktorialer, offen-didaktischer Erzählerkommentare sowie, komplementär dazu, die Ausbildung einer vornehmlich ‚dramatisch‘- dialogischen Darbietungsweise« (Jehmlich).

Jane Austen gehört zu den ersten Autorinnen, die die erlebte Rede in ihren Texten verwenden. Die Erlebte Rede stellt eine Vermischung des Berichts mit dem Selbstgespräch einzelner Figuren dar. Es gibt einen auktorialen Erzähler, der um die Geschehnisse der Erzählung ‚weiß‘, jedoch gelegentlich nicht mittelbar die Figur durch seine Erzählung sprechen lässt, sondern sie quasi selbst zu Wort kommen – ‚sprechen‘ – lässt. Jane Austen gilt als eine jener Autorinnen, die den erzählerischen Kunstgriff der erlebten Rede zuallererst angewandt hat. Reimer Jehmlich bemerkt dazu, dass bereits in den 30er Jahren u.a. durch Lascelles und Q. D. Lewis festgestelt wurde, »daß die Autorin sehr bewußt und professionell gearbeitet, Darbietungstechniken, wie ‚erlebte Rede‘ und ‚personale Erzählung‘ (fort)entwickelt und verfeinert hat, die bereits erstaunlich modern anmuten.“

Daher kann man Jane Austen als Autorin ein erkennbares Maß an künstlerischer Innovationsfähigkeit zuschreiben. Sie hat sich nicht nur in der Wahl eines weiblichen Erzählers, sondern auch in der schriftstellerischen Umsetzung darum bemüht, den Leser dazu zu bewegen, aufmerksam zu lesen. Kann man das nicht auch als Aufforderung verstehen, auch im realen Leben verschiedene Perspektiven und Einstellungen zu hinterfragen und kritisch zu betrachten und zu bewerten? Insofern ergibt sich eine Einheit von Roman und den gesellschaftlichen, vielleicht frühemanzipatorischen Vorstellungen der Autorin. »Jane Austens Romane […], sind keine harmlos-zeitentrückten Familienromanzen, sondern subtile, sehr bewußt gestaltete Erzählkunstwerke mit komplexem Zeit- und Wirklichkeitsbezug.« (Jehmlich)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine oben erwähnte Nähe zu rein populärer Literatur für Jane Austens Buch Stolz und Vorurteil nicht nachvollziehbar ist. Vielmehr scheint es, dass es gewisse Interessensgruppen gibt, die aus kommerziellem Interesse versuchen, die Bücher von Jane Austen ihrer eigentlichen Qualität zu berauben, um sie dann z.B. in schlechten Filmen zu vermarkten, indem sie die Liebesgeschichte und die eindrucksvollen Kostüme der damaligen Zeit in den Vordergrund stellen.

Reiche Informations- und Inspirationsquelle.
Zur Zielgruppe

Jane Austen gehört nicht ohne Grund zu den einflussreichsten Autorinnen der englischen Literaturgeschichte. Ihr Roman Stolz und Vorurteil ist ein bemerkenswertes Sittengemälde des 19. Jahrhunderts. Auf eine humorvolle Weise macht sie für ihre Leser die eingeschränkten Frauenrechte, ihre von der Gesellschaft geforderte Unterordnung unter das männliche Geschlecht deutlich. Jeder, der sich für soziale Entwicklung, insbesondere für die Geschichte der Emanzipation, interessiert, findet hier eine unterhaltsame und intelligente Lektüre, die daran erinnert, wie viel sich in den letzten 200 Jahren verändert hat und auch, wo noch Nachholbedarf besteht. »So gibt es mittlerweile kaum noch Kritikerinnen und Kritiker, die Jane Austens künstlerische Professionalität bestreiten und sie mit einer 'homely garden trash' vergleichen würden.“ (Jehmlich)

Stolz und Vorurteil ist somit keine Empfehlung für Leser, denen es lediglich um Entspannung und Unterhaltung geht. Vielmehr sollte der geneigte Leser empfänglich für einen eleganten, geschliffenen Schreibstil und die feine, britische Ironie sein. Austen spricht den Leser an, der sich nicht nur für die Handlung, den Plot, interessiert, sondern auch in der Lage ist, die schriftstellerische Qualität eines Textes zu würdigen und zu genießen.

Wer sich zudem noch damit beschäftigen möchte, wie Unterdrückungsmechanismen entstehen, wie sie ihre Wirkung entfalten und wie man auch im eigenen Umfeld dagegen antreten kann, findet hier eine reiche Informations- und Inspirationsquelle. Dabei geht es sicherlich zentral um die Unterdrückung der Frau, aber diese Mechanismen wirken auch bei anderen gesellschaftlichen Ausgrenzungen, insofern bleibt deren Studium und damit Jane Austen aktuell für alle wachen, politisch interessierten Leser. Hinzuzufügen ist, dass in Austens Romanen etliche zeitlose Themen, wie z.B. Liebe, Familie, Ansehen, Gender und Integrität aufgegriffen werden, die ihre Romane auch noch heute lesenswert machen.

»Die Fantasie einer Frau kennt keine Hindernisse
«.
Ein kurzes Fazit

Dass Jane Austen bis heute ihre Aktualität bewahrt hat, hat unsere kleine Betrachtung hoffentlich aufzeigen können. Austens Roman Stolz und Vorurteil ist in der modernen Literaturwissenschaft anerkannt als ein Werk, dass durch Erzählperspektive, Themenwahl und Sprache zu seiner Zeit durchaus innovativ war.

Der ironische Duktus ihrer Gesellschaftssatiren gibt ihren Werken das gewisse Etwas, welches literarische Schriften zu ihrer Zeit sonst nicht besaßen. Austen will keineswegs Unterhaltungsliteratur produzieren, sondern zielt darauf ab, die Gesellschaft ihrer Zeit zu verändern. Insbesondere das Verhältnis zwischen Mann und Frau in den gehobenen Kreisen des englischen (Land-)Adels zeigt sie zum ersten Mal aus der Perspektive einer eigenständig denkenden jungen Frau auf.

Jedoch lässt sich Ungleichheit und Ungerechtigkeit zwischen Mann und Frau, die Austen in all ihren Romanen thematisiert, auch noch in der Gegenwart finden. Zwar sind Frauen in unserem Jahrhundert nicht mehr grundsätzlich finanziell von ihrem Ehemann abhängig und werden durch eine Hochzeit in unserem Kulturkreis nicht mehr zu seinem Besitz. Dennoch haben sie immer noch geschlechtsspezifische Nachteile zu gegenwärtigen. Es bleibt z.B. in vielen Fällen so, dass es für Frauen schwierig ist, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, da an sie die Erwartung gestellt wird, die Familie zu organisieren, der Mann übt vorrangig seinen Beruf aus. Somit kann sich auch die moderne Frau noch in Austens Romanen wiederfinden: Ihre Probleme sind nicht mehr die gleichen, jedoch gibt es nach wie vor noch subtile und weniger subtile Unterdrückungsmuster, auch in der heutigen Zeit, die darauf angelegt sind, Frauen in dienende (z.B. ist die Mehrzahl der Beschäftigten in Pflegeberufen weiblich) oder untergeordnete (es gibt viele Assistentinnen der Geschäftsleitung, jedoch nur selten Assistenten der Geschäftsleitung etc.) Rollen zu drängen.

Obwohl es für die Protagonistinnen in Austens Romanen immer ein Happy End gibt – die Heirat mit einem reichen Mann – ist doch die Entwicklung, die die Frauen im Laufe der Erzählung durchlaufen, ein emanzipatorischer Akt. Sie verfolgen ihr eigenes Interesse und es gelingt ihnen trotz ihrer (kleinen) Rebellion, eine gute gesellschaftliche Stellung einzunehmen. Austen sieht die Männerwelt als selbstgerecht und vorurteilsbehaftet, daher wird diese in ihren Werken oftmals Opfer ihrer spöttischen Distanz und ihres ironischen Schreibstils.

Jane Austen kann allen Mut machen, für ihre Ziele und Interessen einzustehen. Diesen Mut hat sie auch selbst gezeigt, als sie damals ihre Bücher unter dem Pseudonym by a lady herausgegeben und damit kenntlich gemacht hat, dass diese Bücher aus einer weiblichen Feder stammen.

Die Forderung, dass Frauen denkende und unabhängige Individuen sein sollen, hat Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte überdauert und damit sind diese Themen genauso aktuell wie zu Austens Zeiten.

Artikel online seit 28.10.20
 

 

 


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