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Vom
Winde verweht
Keiner schreibt
Geschichten derart prägnant, pointiert und aberwitzig, wie der Amerikaner
T.C. Boyle. Seine grandiose Kurzgeschichte »Windsbraut« ist jetzt als 31.
»Tolles Heft« erschienen.
Es ist dieses auf engstem
sprachlichen Raum perfektionierte Zusammenspiel aus Surrealität und
Wirklichkeit, Übertreibung und dem richtigen Maß, das einen die Geschichten von
T.C. Boyle mit einer einmaligen Faszination lesen lässt.
Ein Beispiel gefällig? „Am ersten Abend führte er Junie Ooley zu ihrem Quartier
wie ein Filmkavalier – die beiden hielten sich an den Händen und stemmten sich
gegen den Wind, während Katzen, Blumentöpfe und kleine Kinder an ihnen
vorbeiflogen –, und von da an war er nie länger als fünf Minuten von ihr
getrennt.“
Die nun als neues Tolles Heft von Christoph Niemann hervorragend illustriert
vorliegende Kurzgeschichte „Windsbraut“* ist eine jener Boyle’schen
Grundsatzerzählungen. Es geht um eine völlig unmögliche, doch umso intensiver
geführte und erlebte Liebe auf den Shetland-Inseln, die als die stürmischste
Gegend der Welt gelten. Es ist daher nur naheliegend, dass die verschiedenen
Winde in dieser Erzählung tragende Rollen einnehmen. Irgendwie ist es der
wortwörtliche Wind, der die attraktive Junie Ooley auf die Insel Unst verschlug.
Mit ihr kommt der Wind des Wandels auf, der das Leben des Schafzüchters Robbie
Baikies für immer verändern wird. Und der Orkan einer jungen Liebe bringt
schließlich die dörfliche Ordnung mächtig durcheinander und sorgt für einen
weiteren Sturm, nämlich den der Entrüstung. In der „Windsbraut“ treibt die
Witterung noch so einiges durch die windleeren Gassen und es überrascht
keineswegs, dass er schlussendlich auch die Illusionen und Hoffnungen des jungen
Schafzüchters davonträgt. Dies macht er bei Boyle natürlich nicht im
metaphorischen Sinn. Nein, dies geschieht surrealistischerweise ganz plastisch.
"Sie
wusste nur, dass der Wind schlimm war. … Ihr war kalt, sie fröstelte, denn das
Feuer war unter den Böen, die am Schornstein zerrten, längst erloschen. Und dann
brach der Schornstein ab, mit einem Geräusch, als würden Klauen an einer
Fensterscheibe kratzen. Es knackte, und die Dachbalken gaben nach, und dann
starrte die schwarze Nacht auf sie herab. Sie klammerte sich an den Kaminbock,
doch der Kaminbock wurde davongeweht, und dann klammerte sie sich an die Steine,
aus denen der Kamin gemauert war, doch die Steine wurden ebenfalls davongeweht,
als wären sie Staubkörner, und woran sollte sie sich nun noch festklammern?Wir
haben sie nie gefunden."
Nach „Mein Abend mit Jane
Austen“ (Tolles Heft 14) und „Der Hardrock-Himmel“ (Tolles Heft 16) liegt nun
mit „Windsbraut“ eine dritte Erzählung Boyle’s als literarisch-grafisches
Kleinod vor. „Swept Away“, so der Originaltitel, galt nach der
Erstveröffentlichung in The New Yorker 2003 als eine der besten
Kurzgeschichten des Jahres. Sie ist ein sprachliches Feuerwerk, voller
Genialität, Einfallsreichtum, Witz und Ironie. Boyle ist ein bezaubernder
Magier, nicht umsonst erhielt er 1987 für seinen Roman „World’s End“ den
renommierten PEN/Faulkner-Award.
Die von dem in New York
lebenden Grafikdesigner Christoph Niemann entworfenen vierfarbigen
Flachdruckgrafiken, die in ihrer groben Pixelausführung an die Mutter aller
Computerspiele „Packman“ erinnern, illustrieren nicht nur ausgezeichnet die
Erzählung, sondern auch geradezu genial den surreal-realen Erzählstil T.C.
Boyle’s.
Und was sagt Boyle selbst zu der Idee der „Tollen Hefte“, deren dritte Ausgabe
nun schon dem Amerikaner gewidmet ist? „ Als wir zum ersten Mal gemeinsam ein
‚Tolles Heft’ gemacht haben, sagten einige Journalisten in Deutschland zu mir:
‚Warum machen Sie das? Bedeutende Künstler machen solche Hefte nicht.‘ Und ich
sagte zu ihnen: ‘Weil es Spaß macht.‘ Gute Erklärung, nicht wahr? Weil es schön
ist und weil ich mich geehrt fühle.“
Dem will der Rezensent nur
noch das Nötigste hinzufügen? 'Windsbraut' ist ein großartiges 'Tollen Heft' und
ein literarisches Schmuckstück für jeden Buchliebhaber. Und es ist nur schwer
vorstellbar, dass der inzwischen schon Sechzigjährige ewig junge T. C. eines
Tages kein junger Wilder mehr sein wird. Thomas Hummitzsch
* Die Kurzgeschichte
'Windsbraut' ist auch in dem kürzlich im Hanser-Verlag erschienenen Erzählband
'Zähne und Klauen' von T.C. Boyle zu finden.
|
T. C. Boyle
Windsbraut
Hrsg.: Armin Abmeier
Aus dem Amerikanischen
von Dirk van Gunsteren
Mit Illustrationen von Christoph Niemann, gestaltet von Lutz Widmaier.
Mit vierfarbigen Originalflachdruckgrafiken und einem Plakat,
32 Seiten
Fadenheftung mit Schutzumschlag
Limitierte Auflage
Edition Büchergilde
32 S.; 16,90 €
ISBN: 3940111517
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