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Kann man GOTT übersetzen?

Karim Akerma zu Hartmut Bobzins Neuübertragung des Koran

Kann man Gott übersetzen? Wohl kaum. Man kann ihn anbeten oder seine Existenz bestreiten. Übersetzen lassen sich seine Worte. Übersetzen lässt sich auch das arabische Wort »Allah«. Die französische Übersetzung für »Allah« lautet »Dieu«, die schwedische »Gud«, die deutsche »Gott«. Bobzin hat ALLAH durchgängig ins Deutsche übersetzt, wie es sich für eine vollständige Übersetzung gehört.

Ein kurzer Blick in andere Koranübersetzungen zeigt, dass das arabische Wort für Gott Generationen von Übersetzern vor offenbar unüberwindliche Schwierigkeiten stellte. Zwei hier zum Kontrast herbeigezogene ältere Bearbeitungen aus den Jahren 1959 und 1991 lassen »Allah« – das arabische Wort für Gott – zumeist unübersetzt[i]. Ein Blick in Mircea Eliades Geschichte der religiösen Ideen informiert uns über Allah: »wörtlich ‚Gott’, der gleiche Gottesname, der auch von den arabischen Juden und Christen benutzt wurde, um Gott zu bezeichnen.“[ii]

In der neuen Übersetzung erscheint nur noch »Gott«. Dieser Umstand ist von größter Tragweite, ein Politikum: Im August 2006 schrieb der algerische Schriftsteller Hamid Skif in den Blättern für deutsche und internationale Politik[iii], Schulbücher brächten »den Kindern bei, Muslime[iv] wendeten sich fünfmal am Tag der Kaaba zu, um Allah anzubeten, ohne deutlich zu machen, dass es sich dabei um das arabische Wort für Gott handelt. Für den gemeinen Leser ist Allah ein anderer Gott als der der Juden oder der Christen. Folglich handelt es sich um Leute fernab der jüdisch-christlichen Kultur...« Aus dem Umstand, dass das arabische Wort für Gott, Allah, häufig nicht übersetzt wird, speisen sich Redensarten wie: »Die Moslems/wir Moslems glauben an Allah!« Allah erscheint als ein anderer Gott neben dem Gott der Juden und Christen.

Die durchgängige Übersetzung des Wortes Allah ist nicht nur ein der Völkerverständigung dienendes Politikum, sie ist auch ein Pädagogikum. Ein Pädagogikum, weil diese gottübersetzende Koranausgabe geeignet ist, als Textgrundlage für einen übergreifenden Religionsunterricht an deutschsprachigen Schulen zu dienen. Wo in früheren Übersetzungen das arabische Wort Allah trennend im Wege steht – was dem Schreckenszenario einer Aufteilung von Schulklassen zwecks religiöser Sonderunterweisung förderlich ist –, ist jetzt mit Gott der gemeinsame sprachliche Nenner gegeben, der Jugendlichen die Ähnlichkeit in der Verschiedenheit (um den Leitspruch der EU zu variieren) vor Augen führt.

Wie den meisten Moslems der Welt – sie leben überwiegend in Asien – und den meisten Lesern dieser Besprechung, stehen auch dem Rezensenten keine Arabischkenntnisse zu Gebote. Wie also Bobzins Neuübersetzung beurteilen? Alles, was wir tun können, ist, dass wir uns in einem kontrastierenden Verfahren auf ältere Übersetzungen beziehen. Im Sinne zweier Kontrastmittel seien die beiden folgenden herbeigezogen:

Der Koran. Das heilige Buch des Islam; nach der Übertragung von Ludwig Ullmann; neu bearbeitet und erläutert von L. W. Winter; Wilhelm Goldmann Verlag München 1959[v], künftig abgekürzt (1959).

Und:

Der Koran. Aus dem Arabischen übersetzt von Max Henning;
Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schimmel;
Philipp Reclam jun., Stuttgart 1960, durchgesehene und verbesserte Ausgabe 1991, künftig abgekürzt (1991).

Das vorgeschlagene kontrastierende Verfahren sei nachstehend an elf Punkten durchgeführt, deren Inhalte auf allgemeines Interesse hoffen dürfen. Im Anschluss daran können wir eine vorsichtige Beurteilung von Bobzins Gesamtleistung versuchen.

1. Adam und Eva (Sure 2)

1959 (Vers 36)

»Wir sprachen sodann: ‚Adam, du und dein Weib, bewohnt den Garten des Paradieses und esst, was ihr wollt. Nur diesem Baume naht euch nicht, sonst werdet ihr Sünder.«

1991 (Vers 35 [33])

»Und Wir sprachen: ‚O Adam, bewohne du und dein Weib den Garten und esset von ihm in Hülle und Fülle, wo immer ihr wollt; aber nahet nicht jenem Baume, sonst seid ihr Ungerechte.’«

2010 (Vers 35)

»Wir sprachen: ‚Adam! Bewohne du mit deiner Frau den Garten,
und esst daraus in reichem Maß, wo immer ihr nur wollt!
Doch naht euch diesem Baume nicht,
denn sonst gehört ihr zu den Frevlern!’
«

Die Ähnlichkeit der Übersetzungen beruhigt. Der Leser wähnt: Es gibt da ein Ding an sich (den arabischen Korantext) mit bestimmten Eigenschaften unabhängig vom Raum und von der Zeit, in der der Übersetzer lebt. Ein Ding an sich, das erkannt (übersetzt) werden kann.

2. Frauen (Sure 2)

1959 (Vers 224)

»Die Weiber sind euer Acker, geht auf eueren Acker, wie und wann ihr wollt, weiht aber Allah zuvor euere Seele (durch Gebet, Almosen oder gutes Werk).«

1991 (Vers 223)

»Eure Weiber sind Euch ein Acker. Gehet zu euerm Acker, von wannen ihr wollt; aber schicket (etwas) zuvor für eure Seelen und fürchtet Allah...“

2010 (Vers 223)

»Eure Frauen sind für euch ein Saatfeld.
So geht zu eurem Saatfeld, wann ihr wollt!
Schickt etwas für euch voraus, fürchtet Gott.
«

Erst nach einem Blick in die Erläuterungen erschließt sich die Aussage des dritten Verses, die allein in (1959) sofort aufgeht. Sicherlich trägt die Ersetzung des pejorativen »Weiber« durch »Frauen“ dazu bei, den Koran weniger frauenfeindlich scheinen zu lassen und ist somit als Beitrag zur Verminderung von Misogynie zu werten. Ist die Abkehr von den »Weibern« auch textlich gerechtfertigt? Wir wissen es nicht und erfahren es auch nicht in den Erläuterungen im Anhang der neuen Ausgabe.

3. Juden und Christen »im Guten« (Sure 2)

1959 (Vers 63)

»All denen – seien es Gläubige, Juden, Christen oder Sabäer –, wenn sie nur an Gott glauben, an den Jüngsten Tag und das Rechte tun, wird einst Lohn von ihrem Herrn, und weder Furcht noch Traurigkeit wird über sie kommen.«

1991 (Vers 62 [59])

»Siehe sie, die da glauben, und die Juden und die Nazarener und die Sabäer – wer immer an Allah glaubt und an den Jüngsten Tag und das Rechte tut, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn, und Furcht kommt nicht über sie, und nicht werden sie traurig sein.«

2010 (Vers 62)

»Siehe, diejenigen, die glauben, die sich zum Judentum bekennen,
die Christen und die Sabier –
wer an Gott glaubt und an den Jüngsten Tag und rechtschaffen handelt,
die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn,
sie brauchen keine Furcht zu haben und sollen auch nicht traurig sein!

Wiederum ist die Ähnlichkeit der übersetzten Passage so weitgehend, dass der Leser sich fragen mag: Wenn es so weitergeht, wozu dann immer wieder neue Koranübersetzungen? Und die Frage steht im Raum: Ist es vielleicht so wie bei Musikern, die die Interpretationen großer Kollegen zu häufig gehört haben und deshalb außerstande sind, beim Spielen eines Stücks eigene Synkopen und Phrasierungen anzubringen?

4. Juden und Christen »im Schlechten« (Sure 5)

1959 (Vers 66f)

»Wenn die Schriftbesitzer nur glauben und Allah fürchten wollen, werden wir ihre Sünden vergeben und sie in wonnevolle Gärten versetzen. Wenn sie die Thora und das Evangelium beachten, und was nun ihnen von ihrem Herrn offenbart worden ist, so werden sie des Guten genießen, das über und unter ihnen ist. Es gibt auch rechtliche Leute unter ihnen, die meisten aber tun nur Böses.«

1991 (Vers 65f)

»Und wenn das Volk der Schrift glaubte und gottesfürchtig wäre, wahrlich, Wir bedeckten ihre Missetaten, und wahrlich, Wir führten sie in die Gärten der Wonne. Und so sie erfülleten die Tora und das Evangelium und was zu ihnen von ihrem Herrn hinabgesandt ward, wahrlich, sie speisten von (dem, was) über ihnen und unter ihren Füßen. Unter ihnen ist eine Gemeinde, welche die rechte Mitte inne hält; doch viele von ihnen – schlimm ist was sie tun.«

2010 (Vers 65f)

»Wenn die Buchbesitzer glauben würden
und gottesfürchtig wären,
so hätten wir ihnen ihre Missetaten gewiss vergeben
und sie eintreten lassen in die Gärten der Glückseligkeit.
Und hätten sie die Tora und das Evangelium eingehalten
Und das, was zu ihnen herabgesandt wurde von ihrem Herrn,
so könnten sie von allem essen,
was über ihnen und was unter ihren Füßen ist.
Unter ihnen gibt es eine Gemeinschaft, die maßvoll ist.
Doch zahlreich sind diejenigen von ihnen, die Böses tun.

Der Schritt von der Aussage, die meisten Juden und Christen täten nur Böses zur Aussage zahlreiche unter ihnen täten Böses ist weit und lässt mit einem Handstreich zwei Weltreligionen in den Augen der deutsch lesenden Angehörigen einer dritten Weltreligion besser dastehen als zuvor. Übersetzungen können Frieden und Humanität stiften. In wessen Dienst der Schritt von den Meisten zu den Zahlreichen unternommen wurde, steht nicht in den Sternen, sondern im arabischen Original.

5. Schleier oder Schal? (Sure 24)

1959 (Vers 32)

»Sage auch den gläubigen Frauen, dass sie ihre Augen niederschlagen und sich vor Unkeuschem bewahren sollen und dass sie nicht ihre Zierde (ihren nackten Körper, ihre Reize), außer nur was notwendig sichtbar sein muss, entblößen und dass sie ihren Busen mit dem Schleier verhüllen sollen.«

1991 (Vers 31)

»Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten und dass sie nicht ihre Reize zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und dass sie ihren Schleier über ihren Busen schlagen...«

2010 (Vers 31)

»Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke senken
und ihre Scham bewahren und ihren Schmuck nicht zeigen sollen,
bis auf das, was ohnehin zu sehen ist,
und dass sie sich ihren Schal um den Ausschnitt schlagen.

Hier ist der Schleier nicht nur gefallen, er hat sich – zurecht? – in einen Schal verwandelt. War schon immer fragwürdig, wie man aus dem auf den Oberkörper bezogenen Bedeckungsgebot von Sure 24 das Gebot sollte ableiten können, auch das Gesicht (oder den Kopf) mit einem Schleier zu bedecken, so ist das Weltthema Schleier an dieser Stelle wegübersetzt worden. Vielleicht mit Recht.

6. Jesus und Adam (Sure 3)

1959 (Vers 60)

»Vor Allah ist Jesus Adam gleich, den er aus Erde erschaffen hat; er sprach: ‚Werde’ – und er wurde.«

In (1959) findet sich zu diesem Vers die Erläuterung, dass die Ähnlichkeit Jesu mit Adam darin besteht, keinen leiblichen Vater gehabt zu haben.

1991 (Vers 59 [52])

»Siehe, Jesus ist vor Allah gleich Adam; Er erschuf ihn aus Erde, alsdann sprach Er zu ihm: ‚Sei!’, und er ward.«

Eine Fußnote erläutert: „Keiner der beiden hatte einen menschlichen Vater.«

Im Unterschied zu (1959) wurde Adam dem Wortlaut dieser Übersetzung nach in einem ersten Schritt aus Erde erschaffen; womit er existierte. In einem zweiten Schritt trat der bereits Existierende auf den Seinsbefehl hin nochmals in Existenz.

2010 (Vers 59)

»Siehe, vor Gott gleicht Jesus Adam.
Aus Staub erschuf er ihn, dann sagte er zu ihm:
‚Sei!’ Und dann war er.
«

Aus Erde wurde Staub und das Problem aus (1991) wurde offenkundig vererbt. Das »Dann« ist problematisch, weil es eine nicht nachvollziehbare doppelte Erschaffung Adams unterstellt. Zunächst wird Adam aus Staub erschaffen, womit er existiert. »Dann« sagt Gott dem bereits Existierenden, er solle sein. Im Kommentarbereich von (2010) finden wir hierzu keine Auflösung.

7. Jesus und die heilige Dreifaltigkeit

(Sure 2)

1959 (Vers 117)

»Es sagen einige: Allah habe einen Sohn gezeugt. – Erhaben ist er darüber, fern ist ihm dies. Himmel und Erde sind sein eigen.«

1991 (Vers 116 [110])

»Und sie sprechen: ‚Allah hat einen Sohn gezeugt.’ Preis ihm! Nein; was in den Himmeln und auf Erden, alles gehorcht ihm.«

2010 (Vers 116)

»Sie sprechen: ‚Gott hat einen Sohn angenommen.’
Gepriesen sei er!
Nein, sein ist, was in den Himmeln und auf Erden ist.
«

Nur wer den Koran auf Arabisch zu lesen vermag, wird vielleicht ergründen können, was die Beweggründe für den Übergang von der Zeugung des Sohnes zur bloßen Annahme des Sohnes gewesen sein mögen. Die Gründe für die Ablehnung der Gottessohnschaft gehen am plausibelsten aus (1959) hervor. Diese plausibel scheinende Übersetzung wurde in 2010 kurioserweise in den Kommentar verbannt, wo wir lesen: Gepriesen sei er – »das ist zu verstehen im Sinne eines verwunderten Tadels: Wie kann man nur so etwas von Gott behaupten! Andere Übersetzungsmöglichkeit: ‚darüber ist er erhaben’.« (2010, S. 620)

8. Jesus und Dreieinigkeit der Übersetzungen

Sure 5

1959 (Vers 73f)

»Wahrlich, das sind Ungläubige, die sagen: Allah sei Christus, der Sohn der Maria. Sagt ja Christus selbst: ‚O ihr Kinder Israels, dient Allah, meinem und eurem Herrn.’ Wer Allah irgendein Wesen zugesellt, den schließt Allah vom Paradies aus, und seine Wohnung wird das Höllenfeuer sein, und die Gottlosen werden keinen Helfer haben. Auch das sind Ungläubige, welche sagen: ‚Allah ist der dritte (einer) von dreien’; denn es gibt nur einen einzigen Gott. Enthalten sie sich nicht, so zu sprechen, wird diese Schriftbesitzer schwere Strafe treffen. Sollten sie daher nicht zu Allah zurückkehren und ihn um Verzeihung bitten? Denn Allah ist versöhnend und barmherzig. Christus, der Sohn Marias, ist nur ein Gesandter, so wie ihm Gesandte auch vorangegangen sind, seine Mutter war eine wahrhafte und wahrhaftige Frau (keine Göttin)...«

1991 (Vers 72 [76]ff)

»Wahrlich, ungläubig sind, welche sprechen: ‚Siehe, Allah, das ist der Messias, der Sohn der Maria.’ Und es sprach doch der Messias: ‚O ihr Kinder Israel, dienet Allah meinem Herrn und euerm Herrn.’ Siehe, wer Allah Götter an die Seite stellt, dem hat Allah das Paradies verwehrt, und seine Behausung ist das Feuer; und die Ungerechten finden keine Helfer. Wahrlich, ungläubig sind, die da sprechen: ‚Siehe, Allah ist ein dritter von drei.’ Aber es gibt keinen Gott denn einen einigen Gott. Und so sie nicht ablassen von ihren Worten, wahrlich, so wird den Ungläubigen unter ihnen schmerzliche Strafe. Wollen sie denn nicht umkehren zu Allah und Ihn um Verzeihung bitten? Und Allah ist verzeihend und barmherzig. Nicht ist der Messias, der Sohn der Maria, etwas andres als ein Gesandter; vorausgingen ihm Gesandte, und seine Mutter war aufrichtig.«

2010 (Vers 72ff)

»Ungläubig sind, die sagen:
‚Siehe, Gott ist Christus, Marias Sohn.’
Denn Christus spricht:
‚Ihr Kinder Israel! Dient Gott, meinem Herrn und eurem Herrn!’
Siehe, wer Gott etwas beigesellt,
dem wird Gott den Paradiesgarten verwehren,
und sein Zufluchtsort wird das Höllenfeuer sein.
Die Frevler haben keine Helfer.
Ungläubig sind, die sagen:
‚Siehe, Gott ist der Dritte von dreien.’
Kein Gott ist außer
einem Gott!
Und wenn sie nicht mit dem aufhören, was sie sagen,
so wird die Leugner unter ihnen schmerzhafte Strafe treffen.
Wollen sie sich nicht reuevoll Gott zuwenden
und ihn um Vergebung bitten?
Gott ist bereit zu vergeben, barmherzig.
Christus, Marias Sohn, ist nichts als ein Gesandter,
vor dem andere Gesandte dahingegangen sind.
Seine Mutter ist eine Gerechte.
«

Koranstellen wie diese speisen von jeher die islamische Skepsis, ob das Christentum wirklich eine Ein-Gott-Religion sei. Zwischen den Übersetzungen herrscht eine Dreieinigkeit, die uns wiederum glauben macht, ihnen liege ein Text zugrunde, der sich unabhängig von Ort und Zeit des Übersetzers auf eindeutige Weise übersetzen lässt. Wäre da nicht der Umstand, dass das Höllenfeuer, welches in den älteren Übersetzungen Wohnung und Behausung ist, bei Bobzin zu einem Zufluchtsort wird. Da die Hölle der Ort der Bestrafung ist, dem eine gepeinigte Seele normalerweise zu entkommen sucht: Warum lässt Bobzin sie dorthin flüchten?

9. Hölle und Jüngstes Gericht

1959 (Sure 80, Vers 34ff)

»Wenn der betäubende Posaunenschall gehört wird, an diesem Tage wird der Mann von seinem Bruder fliehen..., denn an diesem Tage wird jedermann mit sich selbst genug zu tun haben.«

Sure 81 (Vers 9ff)

»Und wenn man das lebendig begrabene Mädchen befragt, wegen welchen Verbrechens man es getötet hat, und wenn die Bücher offengelegt und die Himmel weggezogen werden (wie die Haut vom Kamel) und wenn die Hölle lichterloh brennt und das Paradies nahe gebracht wird, dann wird jede Seele wissen, was sie getan hat.«

(1959) begleitet diese Übersetzung mit folgender Erläuterung: „Bei den alten Arabern konnte der Vater eine Tochter lebendig begraben... Nach einem Kommentator hat man die Töchter nur dann lebendig begraben, wenn sie Huren geworden waren.« – Die erste Hälfte des Kommentars legt nahe, bei den »alten Arabern« hätte sich ein Vater unerwünschten weiblichen Nachwuchses auf diese Weise unverzüglich entledigen können. Was jedoch die Frage aufwirft, welche Sünden (Verbrechen) denn ein Neugeborenes hätte schon begehen können.

1991 (Sure 80, Vers 33ff)

»Und wenn die Dröhnende gehört wird,
An jenem Tage flieht der Mann von seinem Bruder...
Jedermann hat an jenem Tag genug an seinem Geschäft.
«
Sure 81 (Vers 8ff)

»Und wenn das lebendig begrabene (Mädchen) gefragt wird,
Um welcher Sünde willen es getötet ward,
Und wenn die Seiten aufgerollt werden,
Und wenn der Himmel weggezogen wird,
Und wenn der Höllenpfuhl entflammt wird,
Und wenn das Paradies nahegebracht wird,
Dann wird jede Seele wissen, was sie getan hat.
«

Ohne eine begleitende Erläuterung zu finden, denkt der Leser vermutlich an eine »Sündhafte«, keinesfalls an unerwünschtes weibliches Neugeborenes.

2010 (Sure 80, Vers 33ff)

»Wenn der Donnerschlag kommt
am Tag, an dem der Mensch vor seinem Bruder flieht...
An jenem Tage ist ein jeder auf sich selbst gestellt.
«
Sure 81 (Vers 8ff)

»Wenn die Vergrabene wird angehört,
um welcher Schuld sie wurde umgebracht;
wenn die Bücher werden aufgeschlagen,
wenn der Himmel wird abgetragen,
wenn das Höllenfeuer wird angefacht,
wenn der Garten wird nahgebracht:
Dann weiß die Seele, was sie vollbracht.
«

Das »lebendig begrabene Mädchen« ist nicht mehr da. Vielleicht haben (1959) und (1991) falsch übersetzt. »Die Vergrabene« ist sehr viel deutungsoffener als »das lebendig begrabene Mädchen«. In dieser Übersetzung ist der Koran keine Instanz mehr, auf die sich ein Gläubiger berufen könnte, um die Praxis des Lebendigbegrabens zu rechtfertigen. Sehen wir in die Erläuterungen: »Angespielt ist hier auf den altarabischen Brauch, neugeborene Mädchen lebendig zu begraben.« (2010, S. 772) Da unklar bleibt, wie Neugeborene Schuld auf sich laden können, ist man mit diesem Kommentar nicht ganz zufrieden.

10. Verständliches wird unverständlich (Sure 39)

1959 (Vers 5)

»Wenn Allah einen Sohn hätte haben wollen, er konnte sich ja nach Belieben einen aus seinen Geschöpfen wählen.

1991 (Vers 4 [6])

»Hätte Allah einen Sohn haben wollen, wahrlich, erwählt hätte Er sich von dem, was Er erschaffen, was Er will.«

2010 (Vers 4)

»Hätte Gott einen Sohn annehmen wollen,
hätte er aus dem, was er erschaffen hat, sich das erwählt, was er will.
«

Während wir uns auf (1959) und wohl auch auf (1991) noch einen ungefähren Reim machen können, versagt bei (2010) das Verstehen.

11. Tod und Auferstehung (Sure 19)

1959 (Vers 67f)

»Zwar spricht der Mensch: ‚Soll ich wohl, wenn ich tot bin, wirklich wieder lebendig aus dem Grabe steigen?’“ Will sich denn der Mensch nicht erinnern, dass wir ihn ja auch vormals ja geschaffen haben, als er noch ein Nichts war?«

1991 (Vers 66f)

»Und es spricht der Mensch: ‚Wenn ich einst gestorben bin, soll ich dann wieder zum Leben erstehen?’
Gedenkt denn nicht der Mensch, dass Wir ihn zuvor erschufen, da er nichts war?
«

2010 (Vers 66f)

»Es spricht der Mensch: ‚Wenn ich gestorben bin,
werde ich dann lebend hervorgehen?’
Ja, denkt der Mensch denn nicht daran,
dass wir ihn vorher schufen und er nichts war?
«

In (2010) vermisst man das »wieder«, was dazu führen kann, dass Lesern an dieser Stelle der Topos der Wiederauferstehung entgeht.

Im Dienste besserer Lesbarkeit hat Bobzin seiner übersetzerischen Arbeit besondere Erschwernisse auferlegt: Er hat den Versuch unternommen, den deutschen Text mittels Harmonisierung von Wortakzent und Satzakzent zu rhythmisieren. Und er hat sich bemüht, seinen Text so in Zeilen zu unterteilen, dass sie jede für sich Sinneinheiten präsentieren.

Bobzins Ausgabe zeichnet sich aus durch einen umfangreichen Anhang mit einem Glossar, einem Stichwortverzeichnis sowie mit Erläuterungen zu den Suren (S. 613-783). Auf letztere kann man in der Tat nicht verzichten. So heißt es etwa in Sure 38 (Vers 73f) im Hinblick auf den an die Engel ergehenden göttlichen Befehl, sich vor dem gottgeschaffenen Adam niederzuwerfen:

»Da warfen sich die Engel allesamt vor ihm nieder,
außer Iblis – er war voll Hochmut und einer von den Ungläubigen.
«

Warum hier nicht von Satan oder Luzifer die Rede ist (in Sure 2, Vers 36 ist von Satan die Rede), erschließt sich vielleicht dem Experten.

Ob die vorliegende Koranausgabe übersetzerische Schwächen aufweist, vermag der Rezensent mangels Arabischkenntnissen nicht mit Gewissheit zu beurteilen. Aus der oben vorgenommenen kontrastierenden Gegenüberstellung mit älteren Übertragungen geht zumindest andeutungsweise hervor, dass nicht jede Neuformulierung zugleich ein Gewinn sein muss. Aufs Ganze – das Zusammenspiel von Text und Erläuterungen – gesehen, wirkt (1959) am überzeugendsten. Gleichwohl würde man unter den drei hier auszugsweise parallelisierten Koranübertragungen – beispielsweise an Schulen – nur mit derjenigen Bobzins arbeiten wollen, da allein sie geeignet scheint, dem Islam im deutschen Sprachraum die mancherseits gepflegte Aura des ganz Anderen zu nehmen, wovon vielleicht auch die anstehende historische Auslegung des Korans profitieren kann. Deutschsprachige Medien sollten sich an dieser Übersetzung ein Beispiel nehmen und im Geiste der Völkerverständigung die Rede von Gott pflegen.


[i] Auch in Karimis neuer Koranübertragung (Herder Verlag 2009) heißt es Gott statt Allah. So steht zu hoffen, dass es in nicht ferner Zukunft als Kuriosum wahrgenommen werden wird, wenn ein französisch schreibender algerischer Schriftsteller wie Boualem Sansal in seinen Romanen bald das arabische Wort Allah gebraucht, bald das französische Dieu, statt durchgängig letzteres zu verwenden, und in seinem Tun und Unterlassen von der deutschen Übersetzerin begleitet wird, die ebenfalls zwischen Allah und Gott oszilliert. Siehe: B. Sansal, Le serment des barbares, Gallimard 1999, dt.: Der Schwur der Barbaren, Merlin Verlag 2003.

[ii] Mircea Eliade, Geschichte der religiösen Ideen, Band 3: Von Mohammed bis zum Beginn der Neuzeit, Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1983, S. 71.

[iii] Hamid Skif, Erinnerung und Gewalt, Blätter für deutsche und internationale Politik, August 2006, S. 929-941, vgl. S. 935.

[iv] So schwer Medien und Wissenschaft sich tun, das arabische Wort Allah ins Deutsche zu übersetzen, so willfährig adoptieren sie, seit geraumer Zeit – und Bobzin schließt sich dem in seinem Nachwort an –, unter Aufgabe des deutschen „Moslem“, das englische „Muslim“.

[v] In (1959) heißt es nicht ausschließlich Allah. So ist etwa in Sure 45 (Vers 52) von den Gottesfürchtigen die Rede. In Sure 81 (Vers 19) wird in der dt. Übersetzung gefragt, woraus Gott den Menschen geschaffen habe.
 

Hartmut Bobzin
Der Koran
Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin, unter Mitarbeit von Katharina Bobzin
831 Seiten mit 121 Kalligraphien von Shahid Alam
In Leinen
C. H. Beck
ISBN 978-3-406-58044-4
38,00 €

Leseprobe


 


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