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»Papa, warum ist der Himmel blau?«
Der
Linguist Guy Deutscher und der SZ-Feuilletonchef Thomas Steinfeld betrachten aus
jeweils unterschiedlichen Perspektiven die Sprache im Spiegel ihrer Anwendung. Ein Mittwochmorgen im nasskalten November anno 2000 in einem der unteren Seminarräume des Instituts für Deutsche Philologie der Ludwig-Maximilian-Universität. Einführung in die Germanistische Linguistik. An den Namen der Dozentin kann sich der Autor nicht mehr erinnern, aber an die Schwere der Augen, die ihm ein aufmerksames Verfolgen der gähnend langweiligen Veranstaltung nahezu unmöglich gemacht hat. Das Studium der Germanistik, insbesondere der Linguistik, d.h. das Untersuchen der deutschen Sprache und ihrer strukturellen Eigenschaften ist eine dröge Angelegenheit – dies war die Quintessenz der zweistündigen Veranstaltung. Dieser Eindruck blieb bis zum Schluss, trotz sieben Jahre pflichtergebenem Studium und einem respektablen Abschluss. Grund dieser Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit war aber nicht das Wesen der Erforschung von Sprache und ihrer Realisierung, sondern das Unvermögen zahlreicher Professoren und Dozenten, den durchaus interessierten, aber stets Sinn suchenden Studenten mit dem zu vermittelnden Stoff zu enthusiasmieren. Dass dies möglich ist, beweisen der Linguist Guy Deutscher und der Kulturwissenschaftler Thomas Steinfeld, jeweils mit ihren ganz eigenen Mitteln. Lehrende wie diese braucht die Sprachwissenschaft, um ihre Studenten zu begeistern. In zwei aktuellen Büchern verführen sie zur vertieften Beschäftigung mit dem faszinierenden Element namens Sprache. Zufällig haben sie dabei die Rollen getauscht, so dass Deutscher als Linguist einen Blick auf die Kulturen wirft, während der Kulturwissenschaftler Steinfeld auf den Einfluss von Syntax und Morphologie auf die Schönheit des Deutschen blickt. Allein dieser Rollenwechsel macht schon ein wesentliches Element des Begeisterung Weckens deutlich, denn es erfordert einen Akt, den man kurzum mit „über den eigenen Tellerrand schauen“ beschreiben kann. An dieser Fähigkeit mag es so manchem Wissenschaftler in seinem Elfenbeinturm mangeln, was das häufige Scheitern der Lehre erklären könnte.
Guy Deutscher
stellt seiner Untersuchung der Sprache und ihrer kulturellen Prägung die Frage
voran, warum die Welt in anderen Sprachen eigentlich anders aussieht.
Beziehungsweise: Sieht die Welt tatsächlich anders aus oder veranlasst die
kulturelle Prägung eine abweichende Wahrnehmung der Welt? Hinter dieser
scheinbar absurden Frage verbirgt sich ein Mysterium, welches tiefer ist als der
Mariannengraben. Damit aber noch nicht genug. Sein sprach- und kulturwissenschaftlicher Wissenschaftsthriller zu den Farbbegriffen in verschiedenen Kulturen ergänzt er mit Untersuchungen des Orientierungsvokabulars in verschiedenen Kulturen sowie der Geschlechtermarkierungen in den verschiedenen Sprachen. Dabei begegnet man als Leser bspw. den aussterbenden Sprechern des Guugu-Yimithirr, die weder rechts noch links noch vorn und hinten kennen, sondern jede räumliche Beschreibung anhand der Koordinaten Norden, Süden, Osten, Westen vornehmen. Dies mag man auf den ersten Blick nebensächlich finden. Macht man sich aber erst einmal klar, was es heißt, wenn man das nächste Kino nordwestlich des im Osten gelegenen Supermarkts suchen muss, weiß man, welche Folgen diese Nebensächlichkeit haben kann. Oder man kann gemeinsam mit Deutscher Hopi oder Matses studieren und dabei dessen Zeitbezüge erforschen. Mit Guy Deutscher kann man lesender Weise angewandte Sprachforschung betreiben. Der in Oxford lehrende Israeli bietet aktuell das Faszinierendste, was man an wissenschaftlicher Auseinandersetzung lesen kann. Mit kriminologischem Gespür und dem Talent eines Magiers entführt Deutscher seine Leser auf eine Expedition, die alles bietet, was das Forscherherz begehrt: Ausflüge in fremde Kulturen, unerwartete, nicht selten sogar sensationelle Entdeckungen, wissenschaftliche Analysen und Auseinandersetzungen auf der Höhe der Zeit, persönliche Fehden eitler Forscher, die die Wissenschaft ins Leben zurückholen und vor allem ein Abenteuer nach dem anderen in den Sprachen dieser Welt.
Vor allem aber zeigt er die Möglichkeiten der deutschen Sprache auf, wie sie immer mehr in Vergessenheit gerät. Er erklärt seinen Lesern die Gestaltungskraft der deutschen Präpositionen und widerspricht den populären und gleichwohl widersinnigen Dativ-Polemiken eines Bastian Sick. Er veranschaulicht den Beitrag der Funktionalität von Substantivkomposita zum deutschen Wortreichtum ebenso wie die besondere Prosodie des Deutschen, wenn man es denn beherrscht. Kurzum: Steinfelds „Sprachverführer“ ist nicht nur geeignet, um den Feinheiten der deutschen Sprache auf den Grund zu gehen, sondern sich ihrer Möglichkeiten einmal wieder bewusst zu werden.
In dem
Bewusstmachen von Sprache, ihren Fähigkeiten, Grenzen und Besonderheiten, darin
treffen sich Guy Deutscher und Thomas Steinfeld. Sucht aber Steinfeld „nur“ nach
dem Vermögen des Deutschen (und ist daher insbesondere für die an Literatur
Interessierten spannend), geht Deutscher weiter. Er fragt nach den
Grundprinzipien, die der Kommunikation von Kulturen zugrunde liegen und ihren
Folgewirkungen. Deutscher stellt für seine sprachwissenschaftliche Betrachtung
eine sehr viel grundsätzlichere Frage: Wie kommen wir von der Wahrnehmung der
Welt zu ihrer Beschreibung und warum fällt diese unterschiedlich aus? Deutscher
gibt auf diese Frage eine ebenso eingängige wie logische Antwort. Das Vergnügen,
bis zu dieser vorzudringen, wird an dieser Stelle aber dem Leser dieses
grandiosen sprachwissenschaftlichen Thrillers überlassen. |
Guy Deutscher
Thomas Steinfeld |
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