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»Zum Glück ist es mir rechtzeitig eingefallen, mich zu spalten.« Zum 50. Todestag von Bernward Vesper
Von Jürgen Nielsen-Sikora |
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Die
letzten drei Monate seines Lebens verbrachte der 32-jährige Schriftsteller und
Verleger Bernward Vesper in einer Nervenklinik, wo er sich am 15. Mai 1971 das
Leben nahm. Er sei, so schrieb er selbst Mitte/Ende Februar »ausgeflippt«. Der
Polizeibericht sprach davon, dass er nackt randaliert habe und barfüßig auf mit
Nägeln versehenen Brettern im Hinterhof herumgesprungen sei. Vesper hielte sich
für Jesus, so der Bericht weiter. Ein geordnetes Gespräch mit ihm sei nicht
möglich gewesen. Bis zum Schluss arbeitete er an einem 1969 begonnenen, doch Fragment gebliebenen Buch mit dem doppeldeutigen Titel »Die Reise«. Der Titel spielt einerseits auf seine Drogen-Trips (LSD) an und beschreibt andererseits eine gedankliche Rückkehr in die eigene Kindheit und Jugend. Seine finanzielle Situation war in diesen letzten zwei Jahren ähnlich erbärmlich wie sein geistiger Zustand. Mittellos als alleinerziehender Vater versuchte er, sich mit seinem Sohn Felix über Wasser zu halten. Die Mutter des Kindes, Gudrun Ensslin, hatte sich gegen die Familie und für Andreas Baader und den Terror entschieden. Zudem beschäftigte Vesper das Verhältnis zu seinem Vater, dem Nazi-Schriftsteller Will Vesper (1882-1962), den er lange Zeit verteidigte, dessen mitunter herzlose Erziehung und den sich an den Prinzipien der Schwarzen Pädagogik orientierenden Überzeugungen ihm nun jedoch zusehends zu Bewusstsein kamen und ihn umtrieben. Auslöser dieser Auseinandersetzung dürfte nicht zuletzt seine eigene Rolle als Vater und Erzieher gewesen sein. »Die Reise« ist das Produkt dieser Reflexionsarbeit. Es liest sich wie der Versuch einer langjährigen Selbsttherapie, immer wieder unterbrochen durch Hinwendungen zum aktuellen politischen und gesellschaftlichen Geschehen. In dem autobiografisch angelegten Buch inklusive den unzähligen Ich und Welt spiegelnden Halluzinationen offenbare sich, so die Presse damals, das kollektive Scheitern einer ganzen Generation. Es sei, so schrieb Gerd Koenen bereits im Jahre 2003, »der lange, täglich fortgesetzte Brief eines Ertrinkenden, Abgleitenden, aus der Zeit Gefallenen, gerichtet an alle und niemanden.« Ein Buch für alle und keinen also – eine Art neo-nietzscheanische Flaschenpost!? »Die Reise« erschien erst
posthum 1977. Das Buch zeigt, wie sich Vespers Existenzangst in den letzten
Jahren seines Lebens ins Maßlose steigerte. Der Kampf gegen den toten Vater, den
er nicht mehr besiegen konnte, brach sich in den als »Einfacher Bericht«
titulierten Passagen Bahn. Der Vater verfolgte ihn unaufhörlich, trieb ihn zu
immer neuen Tiraden gegen alles und jeden: Ȇber den Vater, die Mutter schreiben
können wie über den Teekessel auf dem Gasherd … Bis eines Tages etwas passiert.«
Am Ende des Buches steht dann der vielsagende und für sich selbst sprechende
Satz: »Zum Glück ist es mir rechtzeitig eingefallen, mich zu spalten.« |
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