Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
||
Home Termine Literatur Krimi Biografien, Briefe & Tagebücher Politik Geschichte Philosophie Impressum & Datenschutz |
||
|
||
Bluthund Gottes, Zigeuner des Hl.
Geistes, Soldat Christi |
||
… in kaltem
Wasser auf helles Feuer gesetzt.
In Heilige
ohne Heiligenschein (1978) hat der Theologe Walter Nigg den Kritiker,
Polemiker und Erzähler Léon Bloy als einen
»bellenden
Bluthund Gottes«
portraitiert. Niggs Studie widmet sich jenen Narren, Propheten und Ketzern, die
in Kontrast zu der Kirche lebten, der sie sich verpflichtet fühlten. 1846 im südwest-französischen Notre-Dame-de-Sanilhac (Dordogne) geboren, 1917 in Bourg-la-Reine, wenige Kilometer südlich von Paris, gestorben, begann Bloy schon in Jugendjahren mit der Niederschrift von Tagebüchern. Später dann unterwegs als Freischärler, Zeichner, Buchhalter und Journalist, unterbrach er die Aufzeichnungen für lange Zeit und begann erst in den 1890er Jahren wieder, tiefschwarze Tinte über sein erbärmliches Leben zu gießen. Bloys Arbeiten, vor allem die 1893 erschienenen Erzählungen »Sueur de Sang« (Blutschweiß, Berlin 2010) über den deutsch-französischen Krieg, übten großen Einfluss u.a. auf Jorge Luis Borges, Carl Schmitt und Ernst Jünger aus. Sein Leben war geprägt von großer Armut. Mit seiner Familie zog er mehrmals um, die Wohnverhältnisse waren stets äußerst bescheiden, teilweise unerträglich. Zunächst glühender Sozialist, wurde er von seinem Mentor, dem Moralisten Jules Amédée Barbey d´Aurevilly, zum Katholizismus bekehrt. Persönliche Schicksalsschläge – zwei seiner Kinder (Pierre und André) starben bereits im ersten Lebensjahr – sowie berufliche Misserfolge ließen ihn immer wieder an sich selbst zweifeln.
Seine
anhaltenden körperlichen Schmerzen deutete er – der »Soldat Christi« und »Pilger
des Absoluten« – als eine Art Gottesbeweis. In seinen Texten entwickelte er sich
im Laufe der Zeit regelrecht zu einem katholischen Wüterich, der Leid und
Schmerz verherrlichte, das Ich absolut setzte und radikal gegen sich selbst war:
»Wenn es einen religiösen Orden gäbe, in dem man sich mit Knüppelschlägen
behandelt, würde ich diesen wählen«, heißt es in einem Brief aus dem Jahr 1877.
Alexander
Pschera, der Bloy vor Jahren wiederentdeckt hat, setzt ihm nun auf über 1200
Seiten mit der Übersetzung zahlreicher Briefe, Tagebucheinträge und kleiner
Prosa ein Denkmal. Die Anthologie »Diesseits von Gut und Böse« greift hierbei
das berühmte Nietzsche-Wort auf. Mit Verkehrung der Ortsbestimmung
(Jenseits-Diesseits) werden zugleich die unterschiedlichen Weltanschauungen der
beiden Zeitgenossen deutlich: Während Nietzsche Gottes Tod heraufbeschwor und
vehement Kritik an Glaube und Religion formulierte, glaubte Bloy, Gott sei
lediglich abwesend, weshalb er versuchte, ihn in Worten und Taten zu neuem Leben
zu erwecken. Die Tagebucheinträge erinnern an einen Heiligenkalender: Das Datum des jeweiligen Eintrags wird durch Bloys ergänzenden Hinweis auf einen entsprechenden Heiligen zu einer Art Gedenktag. Tiefe Frömmigkeit spricht ohnehin aus seinen Texten: Es wimmelt von Engeln und Dämonen, das Neue Testament und der Rosenkranz finden mehrmals Erwähnung; auch von Erlösung und Liebe, von der Seele und dem Nichts ist die Rede; schließlich geht es in den Texten um Verzweiflung und um die Bedeutung der Tränen. In einem auf den 29. August 1889 datierten Brief an Johanna Molbech, die kein Jahr später seine Frau wird, kommt Bloys gesamte Gedankenwelt zum Ausdruck. Er schreibt: »Wir sind auf seltsame Weise vom Geheimnis umschlossen, und die willentlichen und unwillentlichen Bewegungen unserer armen Seelen, die niemals sterben werden, sind unserem kritischen Verstand nicht weniger verborgen wie die äußeren Phänomene der bewundernswerten Natur. Es ist sicher, dass es Wesen gibt, die im fehlerlosen Gewebe des großen göttlichen Plans sich einander genau entsprechen, und auch wenn zwischen diesen Wesen Erdteile und Ozeane liegen, Sitten und Sprachen, alle Hindernisse, die menschliche Existenz voneinander trennen können, sie werden sich dennoch treffen in genau jenem Moment, den der unfehlbare Gott aus den Tiefen seiner Himmel und seiner Ewigkeit heraus für die Begegnung festgesetzt hat.« Alexander Pschera hat mit Herausgabe dieses aufwendig gestalteten Bandes eine nur schwer zu ermessende Kärrnerarbeit geleistet: Auswahl und Übersetzung unzähliger Texte Bloys auf gut 1260 Seiten hat er minutiös selbst besorgt und mit biografischen Anmerkungen zu einem besseren Verständnis des Lebens dieses eigenwilligen, einsamen Literaten beigetragen. Aber auch in der grandiosen Gegenüberstellung von Bloy und Nietzsche, die den zweiten Teil einleitet, demonstriert Pschera, dass auch er zu unzeitgemäßen Betrachtungen und solitären Meditationen fähig ist. Über die offenkundigen Differenzen hinaus entdeckt er etwa bemerkenswerte Gemeinsamkeiten zwischen Nietzsche und Bloy: »Bloy und Nietzsche sind von der Notwendigkeit eines gewalttätigen Eingriffs überzeugt. Denn auf der alten Welt lassen sich keine Denkgebäude mehr errichten, die diese Welt erklären können. Der Verfall ist mit Lösungsansätzen, die der tradierten Ordnung entspringen, nicht aufzuhalten. Weder Nietzsche noch Bloy denken Geschichte daher linear fort als eine Geschichte menschlichen Problemlösens. Keiner von beiden glaubt an den wissenschaftlichen, technischen oder gesellschaftlichen Fortschritt, auch und gerade nicht an die Denkmodelle der positivistisch motivierten Humanität, die im Auftrag jenes Fortschritts handelt.«
Wäre es am Ende
sogar denkbar, dass Bloy doch mehr als nur ein »bellender Bluthund Gottes« ist? |
|
|
|
||