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Als der Geist die Kolonie liebte
und tapfer vergaß.
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In einer Art von Jugend-Fibel über »Deutsch-Ostafrika« von 1909 lese ich den Satz: »Der schwarze Erdteil kann seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts als aufgeteilt gelten.« Gerade hatte in »Deutsch-Südwestafrika« der preußische General der Infanterie Adrian Dietrich Lothar von Trotha den ersten Genozid des Jahrhunderts organisiert; auf jenem »schwarzen Erdteil«, als wäre die Haut Erde, die Erde Haut. Ich habe mich gefragt, ob eigentlich die deutschen Philosophen etwas über die Aufteilung eines ganzen Kontinents geschrieben haben: diese Diltheys, Windelbands, Cassirers, Hartmanns, Husserls, Cohens, Schelers, Heideggers. Nach einer zugegeben nicht sehr intensiven Suche bin ich zu dem Schluss gekommen, dass selbst wenn in irgendeinem Scheler-Text oder Husserl-Manuskript eine Anspielung auf Afrikas Kolonisierung zu finden wäre, die Bezugnahme ohnehin dem Ereignis nicht entsprechen würde. Wichtige Nationen Europas vollzogen eine gigantische geopolitische Bewegung, um nachzuholen, was Spanier und Portugiesen ein paar Jahrhunderte vorher bereits vorgemacht hatten — und die deutschen Philosophen schrieben nichts, dachten nicht darüber nach, waren desinteressiert. Warum? Schwer zu sagen. Man war wohl — wie immer in diesen Kreisen — mit sich selbst beschäftigt, mit europäischem Geist, der wahrscheinlich nichts anderes ist als Selbst-Beschäftigung, weil er gar nicht weiß, mit was er sich sonst beschäftigen sollte als mit sich selbst. Dass man dort in Afrika Menschen mordete, Völker unterjochte, weil sie schwarz waren (welche Legitimation hatte man sonst?), kümmerte die Geheim-Räthe und Groß-Professoren des Geistes nicht. Auf seiner Welt-Karte existierte Afrika nicht. Und wie kann man vernichten, was nicht existiert? Gewiss: Es ist wohl vorauszusetzen, dass der Durchschnitts-Philosoph im Großen und Ganzen mit Missionierung und Kultivierung der »Neger« einverstanden war. Die Afrikaner hatten im Grunde nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Europa, das 1914 begann, sich sein erstes Riesen-Denkmal zu bauen, brauchte nicht erst an die Tür zu klopfen, um das Haus auf den Kopf zu stellen. Gab es da in dieser Schwärze überhaupt Türen? Häuser? Köpfe? Die Ignoranz hat natürlich eine rassistische Signatur. Als Hannah Arendt ca. ein halbes Jahrhundert später in ihrem großen Erstling über die »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« im Imperialismus-Kapitel die Geschichte der Buren in Südafrika durchgeht, erklärt sie den Massenmord an den Einheimischen u.a. damit, dass deren Leben in der Natur von den Europäern nur als »Grauen« wahrgenommen werden konnte. Was schon von der Natur indifferent zum Leben und Sterben verurteilt wurde, konnte ebenso behandelt werden. Man hatte es dort ja nicht mit Individuen oder Personen zu tun, sondern mit Exemplaren einer Spezies. Arendt hatte sich ihr Afrika-Bild in Joseph Conrads (missverstandenem) »Heart of Darkness« besorgt. Vielleicht muss man sogar dankbar sein, dass ihre männlichen Kollegen vorher geschwiegen hatten.
Bereits 1926
hatte Hans Grimm seinen Bestseller »Volk ohne Raum« veröffentlicht, die
Geschichte eines Mannes, der aus deutscher Provinz übers Ruhrgebiet nach
Südafrika auswandert. Das verkaufte sich ungefähr wie warme Semmeln. Die Leute
wussten immer schon, was zu lesen sich lohnt. Auch dazu hatten die Philosophen
nichts zu sagen. |
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